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Freiburger
Zeitung, No. 175, Dienstag, 31.07.1900, Tagesausgabe, Seite 1
Zu den Wirren in China
Ueber die Ansprache, die der Kaiser in Bremerhaven an die nach Ostasien ausreisenden Truppen unmittelbar vor der Abfahrt hielt, versendet das W.T.B. noch eine Sonderausgabe. Danach lautete die Rede nach genaueren Aufzeichnungen wie folgt:
Große überseeische Aufgaben sind es, die dem neu entstandenen Deutschen Reiche zugefallen sind, Aufgaben, weit größer, als viele meiner Landsleute es erwartet haben. Das Deutsche Reich hat seinem Charakter nach die Verpflichtung, seinen Bürgern, sofern diese im Auslande bedrängt werden, beizustehen. Die Aufgaben, welche das alte, Römische Reich deutscher Nation nicht hat lösen können, ist das neue Deutsche Reich in der Lage zu lösen. Das Mittel, das ihm dies ermöglicht, ist unser Heer. In dreißigjähriger treuer Friedensarbeit ist es herangebildet worden nach den Grundsätzen meines verewigten Großvaters. Auch Ihr habt Eure Ausbildung nach diesen Grundsätzen erhalten und sollt nun vor dem Feinde die Probe ablegen, ob sie sich bei Euch bewährt haben. Eure Kameraden von der Marine haben diese Probe bereits bestanden, sie haben Euch gezeigt, daß die Grundsätze unserer Ausbildung gut sind, und ich bin stolz auf das Lob auch aus dem Munde auswärtiger Führer, daß Eure Kameraden Namen sich erworben haben. An Euch ist’s, es ihnen gleich zu thun. Eine große Aufgabe harrt Eurer: Ihr sollt das schwere Unrecht, das geschehen ist, sühnen. Die Chinesen haben das Völkerrecht umgeworfen, sie haben in einer in der Weltgeschichte nicht erhörten Weise der der [sic!] Heiligkeit des Gesandten, den Pflichten des Gastrechts Hohn gesprochen. Es ist das um so empörender, als das Verbrechen begangen worden ist von einer Nation, die auf ihre uralte Kultur stolz ist. Bewährt die alte preußische Tüchtigkeit, zeigt Euch als Christen in freudigem Ertragen von Leiden, möge Ehre und Ruhm Euern Fahnen und Waffen folgen, gebt an Manneszucht und Disziplin aller Welt ein Beispiel. Ihr wißt es wohl, Ihr sollt fechten gegen einen verschlagenen, tapferen, gut bewaffneten, grausamen Feind. Kommt ihr an ihn, so wisst: Pardon wird nicht gegeben, Gefangene werden nicht gemacht; führt Eure Waffen so, daß auf tausend Jahre hinaus kein Chinese mehr es wagt, einen Deutschen scheel anzusehen. Wahrt Manneszucht, der Segen Gottes sei mit Euch, die Gebete eines ganzen Volkes, meine Wünsche begleiten Euch, jeden Einzelnen. Oeffnet der Kultur den Weg ein für alle Mal! Nun könnt Ihr reisen! Adieu Kameraden!“
Ein jammervolles Schauspiel ist es, jetzt eine ganze Reihe von Zeitungen zu beobachten. Sie mühen sich ängstlich ab, ihren Lesern klar zu machen, der Kaiser habe die Worte ganz anders gemeint, als sie jeder vernünftige Mensch versteht. Die Worte: Pardon wird nicht gegeben; Gefangene werden nicht gemacht – sollen sich danach auf die chinesische Kriegsführung beziehen und bedeuten:
Pardon wird (von den Chinesen!) nicht gegeben. Besonders mehrere Berliner Blätter deuteln in diesem Sinne an den Kaiserworten herum. All diese guten Leute haben offenbar angesichts der kräftigen Worte den Verstand verloren. Sie vergessen den der Aufforderung des Kaisers folgenden Satz: Die Chinesen sollen noch nach tausend Jahren keinen Deutschen scheel ansehen. Es wäre nach der Ansicht der Jammerpresse natürlich viel humaner, wenn unsere braven Soldaten mit dem chinesischen Gesindel recht fein säuberlich nach europäischem Kriegsbrauch verführen, sich von den Gefangenen nachträglich hinterrücks überfallen ließen und dafür die Anwartschaft einheimsten, als verwundete ihrerseits von den Chinesen nach deren Brauch grausam gefoltert und getödtet zu werden.
Der amtlichen Berliner Korrespondenz zufolge ordnete der evangelische Oberkirchenrath mit allerhöchster Ermächtigung an, daß in das allgemeine Kirchengebet eine Fürbitte eingeschaltet werde für die Hinterbliebenen der in China ums Leben Gekommenen, für die dort verfolgten Christen und Missionare und für die nachentsandten Truppen.
Das Frage- und Antwortspiel über das Schicksal der Gesandten in Peking wird fortgesetzt. Daily Expreß meldet aus Shanghai vom 26. d. M.: Li-Hung-Tschang erklärte, die fremden Gesandten seien schon auf dem Wege nach Tientsin, wo sie am Sonntag eintreffen sollen.
Gleichzeitig kommt aber folgende Depesche aus Hong-Kong, 28. Juli: Der italienische Konsul ersuchte, um die Beziehungen der Chinesen zu den Gesandtschaften in Peking zu erproben, den stellvertretenden Vizekönig von Canton, sich mit dem italienischen Gesandten in Peking in Verbindung zu setzen, um von demselben Antwort auf eine Anfrage in einer Angelegenheit zu erlangen, die nur dem Gesandten und dem Konsul bekannt ist. Der Vizekönig erwiderte, er könne dem Ersuchen nicht Folge geben. Alle Botschaften in Peking würden auf geheimem Wege erlangt, der Gouverneur von Shantung sei der Vermittler. Man sollte nun meinen: ebenso gut, wie Li-Hung-Tschang eine Nachricht bekommen kann über die Abreise der Gesandten aus Peking, müßte der Vizekönig Canton (wenn auch auf dem „geheimen Wege“) eine Antwort des italienischen Gesandten herbeischaffen können.
Dem Daily Expreß wird aus Shanghai vom 27. gemeldet: Li-Hung-Tschang empfing die Nachricht, dass Prinz Tuan getödtet worden sei. Die Boxers seien in der letzten Zeit in zwei Parteien getheilt. Die eine wolle die Mandschus niederwerfen und die Ming-Dynastie wieder aufrichten, die andere trete für Prinz Tuan ein. Ein verzweifelter Kampf außerhalb des südlichen Thores der Stadt habe stattgefunden und die Partei des Prinzen Tuan sei geschlagen worden. Prinz Tuan sei gefallen.
Wie der New-York Herald aus Washington meldet, soll die in den letzen Tagen mehrfach erwähnte Deepesche des amerikanischen Gesandten in Peking, Conger, eine Fälschung sein. Das Staatsdepartment besitze den absoluten Beweis, daß die betr. Depesche von Sheng und Yuan-schi-kai chiffrirt wurde.
Vom Burenkriege
(...) Die Frage nach dem Stand des südafrikanischen Krieges läßt sich, wenn man kurz sein will, sehr schnell und präzis mit dem Hinweis darauf beantworten, daß Lord Roberts sich mit aller Entschiedenheit dagegen gesträubt hat, auch nur kleine Abteilungen seiner Armee für China abzugeben. Er kann nicht nur keinen einzigen Mann entbehren, er verlangt sogar noch Verstärkungen. (...) Und die englische regierung, die nicht weiß, wo sie die nöthigen Soldaten für China hernehmen soll, der alles daran liegen muß, den dortigen russischen und japanischen Streitkäften eine ihren dortigen Interessen entsprechende möglichst stattliche englische Armee zur Seite zu stellen, schicktihre letzten Reserven nicht nach Ostasien, sondern nach Südafrika! (...) So heißt es in einem Leitartikel des Evening Standard wörtlich: "Gerade jetzt, wo die Lage im fernen Osten sich derartig zugespitzt hat und die absolute Nothwendigkeit für Großbritannien eingetreten ist, die nöthigen Arrangements sofort zu treffen, um an erster Stelle seine eigenen Interessen erfolgreich zu wahren und andererseits mit den übrigen Mächten zu kooperiren, müssen wir leider bekennen, daß das Kriegsglück in Südafrika, wie es uns in letzter zeit zu Theil geworden ist, allgemein mit zunehmender Ungeduld betrachtet wird, um nicht einen stärkeren Ausdruck zu gebrauchen. (...)
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Freiburger Zeitung, No. 175, Dienstag, 31.07.1900, Tagesausgabe, Seite 3
Neuestes und Telegramme
Die Kaiserrede
Bremerhaven, 28. Juli. Die hiesige Nordwestdeutsche Zeitung veröffentlicht die Rede des Kaisers nach eigenen Aufzeichnungen und gibt die vielbesprochene Stelle in folgender Fassung wieder: Ihr seht wohin eine Kultur kommt, die nicht auf dem Boden des Christentums aufgebaut ist; jede heidnische Kultur, mag sie noch so schön und herrlich sein, wird bei der ersten Kraftprobe erliegen!... Kommt Ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer Euch in die Hände fällt, sei Euch verfallen! Wie vor 1000 Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in Ueberlieferung und Märchen gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name Deutscher in China auf 1000 Jahre durch Euch in einer Weise bethätigt werden, daß niemals wieder ein Chinese es wagt, einen Deutschen nur Scheel anzusehen! Ihr werdet mit einer Uebermacht zu fechten haben; doch dies sind wir gewohnt, unsere Kriegsgeschichte beweist es! Ihr habt es gelernt aus der Geschichte des Großen Kurfürsten und aus Eurer Regimentsgeschichte. Heftet neuen Ruhm an Eure Fahnen; der Segen des Herrn sei mit Euch! Die Gebete der Euren, eines ganzen Volks begleiten Euch auf allen Euren Wegen! Meine besten Wünsche für Euch, für das Glück Eurer Waffen! Eure Leistungen werden Euch folgen, wohin es auch sei! Und Gottes Segen möge an Eure Fahnen sich heften und dieser Krieg den Segen bringen, daß das Christenthum in jenem Lande seinen Einzug hält, damit solch traurige Fälle nicht mehr vorkommen! Dafür steht Ihr mit Eurem Fahneneid! Und nun glückliche Reise! Adieu, Kameraden!
[…]
Ermordet.
Shanghai, 28. Juli. Meldung des Reuterschen Bureaus. In Hu-Tsibon in der Nähe von Hang-Tsibon sind 9 englische Missionare ermordet worden.
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Freiburger Zeitung, No. 175, Dienstag, 31.07.1900, 2. Blatt, Seite 2
Ein Opfer der Politik. „Ist es denn wahr, daß die Europäer China zertrümmern wollen?“ – „Ja, mein Dienstmädchen hat heute schon mit der großen Vase im Salon den Anfang gemacht.“
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