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Bericht des englischen Gesandten aus Peking über die Belagerung; 300 Chinesen bei Kämpfen mit der russischen Armee getötet; Bericht von der "Hunnen-Rede" von Kaiser Wilhelm II vor 4000 Soldaten in Bremerhaven; "Schwere Artillerie nach China!"

Freiburger Zeitung, No. 174, Sonntag 29.07.1900, Tagesausgabe, Seite 1

Zu den Wirren in China

Wolffs Bureau meldet aus Tiensten vom 24. d. M.:
Heute traf aus Peking vom 15. d. M. ein Bote bei einem hiesigen Zollbeamten ein mit der Meldung, die Soldaten des Prinzen Tsching hätten gegen die Truppen des Generals Tung gekämpft und seien geschlagen worden. Die Fremden vertheidigten sich in der nördlichen Kathedrale in der Nähe der verbotenen Stadt.
Die Nordd. Allg. Ztg. veröffentlicht einen vom Chef des Kreuzergeschwaders übermittelten längeren Auszug aus dem Kriegstagebuch des Kapitäns z. S. v. Usedom von der Expedition des Admirals Seymour. Am Schlusse des Tagebuchs heißt es: Die Deutschen ließen keine Waffen, keinen Verwundeten oder Vermißten zurück. Alle Gefangenen werden mit militärischen Ehren begraben. [Fortsetzung folgende Seite]


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Freiburger Zeitung, No. 174, Sonntag 29.07.1900, Tagesausgabe, Seite 2

[Fortsetzung von voriger Seite] Morning Post meldet, Li-Hung-Tschang habe auf eine vor 2 Tagen an ihn gerichtete Anfrage mitgetheilt, Sir Robert Hart sei noch am Leben.
Die Daily Mail veröffentlicht einen aus Shanghai eingegangenen Brief des britischen Gesandten in Peking vom 6. Juli, in dem es heißt: „Wir erhalten von den Behörden keinen Beistand. 8 Gesandtschaften stehen noch, darunter befindet sich die britische. Wir halten auch einen Theil der Wälle der Stadt. Die Chinesen beschießen uns mit einem 3zölligen und einigen kleineren Geschützen. Wir können jeden Tag vernichtet werden, an Geschossen und Nahrung herrscht Mangel. Wir wären schon umgekommen, wenn die Chinesen nicht so feige wären und auf uns einen Angriff unternommen hätten; wenn wir nicht bedrängt werden, können wir uns noch 13 Tage halten, sonst höchstens noch 4. Die Entsatzkolonne wird nur geringen Widerstand finden. Die Entsatzkolonne soll entweder durch das östliche Thor oder auf dem Flußweg vorrücken. Die Verluste der Fremden hatten am 14. d. M. 40 Todte und 80 Verwundete betragen.
Aus Petersburg, 26. Juli, wird gemeldet: Oberst Wroblewski erhielt Befehl vom General Gribski, alle chinesischen Posten zu vernichten. Er nahm das Kosakenkommando an Bord des Dampfers und besetzte vier Werft weiter das chinesische Ufer mit zwei Kompagnien, die, als sie sich dem chinesischen Posten näherten, mit einem starken Gewehrfeuer empfangen wurden. Drei chinesische Pulverlager wurden in die Luft gesprengt. Auf Seiten der Chinesen wurden 300 Mann getödtet. Auf russischer Seite wurden ein Kosak und fünf Schützen getödtet, ein Hauptmann, sechs Schützen und zwei Kosaken verwundet. Am 22. Juli Morgens wurde Blagowjeschtschensk schwach beschossen. Abends fand ein stärkeres Gewehrfeuer statt. Um Mitternacht hatte die Kanonade aufgehört. Unter Mitwirkung des Dampfers Selenga wurde Aigun an mehreren Stellen in Brand gesteckt. Russische Streifwachen melden, daß sich die chinesischen Bewohner Saghaliens infolge der Beschießung durch die Russen zwei Werft weiter ins Land zurückzogen, Schanzgräben aufwarfen und Wachen aufstellten. Die Kosaken vernichteten die chinesischen Abtheilungen in Rikalks, Kupriarowsk und Starachewsk.

Ansprache des Kaisers.
Bremen, 27. Juli. Der erste nach China bestimmte und heute früh hier eingetroffene Truppentransport von 4000 Mann wurde auf dem hiesigen Bahnhofe festlich empfangen und von der Garnisonsverwaltung gespeist. Gleichzeitig fand die Vertheilung der in reichem Maße eingegangenen Liebesgaben durch Mitglieder der hiesigen Kriegervereine statt. Vor der Halle des Nordd. Lloyd verabschiedete sich der Kaiser mit einer längeren Ansprache etwa folgenden Inhalts:

Neue überseeische Aufgaben treten an das deutsche Reich heran, früher als viele Landsleute erwartet hätten, habt Ihr die Verpflichtung, eure Brüder im Ausland zu schützen, eine Aufgabe, die das alte römische Reich nicht hat erfüllen können. Im dreißigjähriger Friedenszeit ist die Armee nach den Grundsätzen meines großen Großvaters ausgebildet worden und an Euch ist es jetzt, die Probe zu liefern, ob diese Grundsätze richtig sind. Eure Kameraden von der Marine haben diese Probe bestanden, sie haben das Lob auch der auswärtigen Führer geerntet. Ihr habt die Aufgabe, schweres Unrecht zu sühnen, einen unerhörten Bruch des Völkerrechts. Ihr zieht gegen ein Volk, das auf eine uralte Kultur stolz ist. Berwährt Euch in der alten Tüchtigkeit, bewährt im Leiden Euch als Christen und knüpft Ehre und Ruhm an die deutschen Waffen und die deutschen Fahnen. Ihr werdet fechten gegen ein gut bewaffnetes, verschlagenes und grausames Volk. Kommt ihr an den Feind, so wißt: Pardon wird nicht gegeben, Gefangene werden nicht gemacht. Führt die Waffen so, daß noch nach tausend Jahren kein Chinese es wagt, einen Deutschen scheel anzusehen. Euch begleitet der Segen Gottes und die Gebete des ganzen Volkes und meine Gedanken folgen jedem einzelnen von Euch. Eröffnet der Kultur für alle Zeit den Weg und nun reiset glücklich. Adieu Kameraden! Die Batavia ging um 1 ¾, die Halle um 2, die Dresden um 2 ¼ Uhr unter begeisterten Kundgebungen ab.

Schwere Artillerie nach China!

Aus Berlin wird geschrieben: Auch bei den Fußartillerieregimentern ist angefragt worden, wer freiwillig an der Expedition theilnehmen will, und zwar für besonders aufzustellende Haubitz-Formationen. Die Fußartillerie führt als schwere Artillerie des Feldheeres die 15-cm Haubitze, welche Langgranaten von 40 kg mit etwa 7,5 Granatfüllung über 6 km weit mit vorzüglicher Treffsicherheit schleudert. Sie wirft naturgemäß entsprechend mehr, wie die neue Feldhaubitze der Feldartillerie; sie durchschlägt alle feldmäßig ausgeführten Eindeckungen und ist geeignet, auch Mauerwerk von großer Stärke zu zerstören.
Es kommt dies vor Allem bei den Kampfe um Peking in Frage – wenn sich die Chinesen dort so lange halten sollten, bis das neu aufgestellte Expeditionskorps in China ist – wo die stärkste Befestigung aus dem Mittelalter sich vorfindet: Mauern von 10 ¾ Meter Höhe und 18 Meter Breite, innen mit Erde, einem Ball ähnlich, ausgefüllt. Feldgeschützen hält dieses alte Mauerwerk verhältnismäßig lange Stand, aber dem 15 cm-Kaliber gegenüber bietet es nicht lange Schutz. Auch die vorspringenden Thürme und Thore der Befestigung Pekings würden nach kurzer Beschießung zerstört werden können und ihrem Zweck, die Mauer durch Feuer aus Geschützen oder auch nur mit Gewehren flankiren zu können, nicht lange erfüllen, sodaß ein Sturm über die in Bresche gelegte Mauer ohne große Menschenopfer selbst bei hartnäckiger Vertheidigung möglich würde.
Es ist noch nicht bekannt, welche schweren Kaliber seitens der andern Mächte mitgeführt werden, aber es würde wohl angezeigt sein, deutscherseits von vorneherein soviel 15 cm-Haubitzen mitzunehmen, daß wir Deutschen an der entscheidenden Stelle selbst genug Kraft entfalten können, um Bresche zu schießen und unseren Truppen die Wege zum Sturm zu bahnen. Zum Mindesten würde dabei wohl ein Bataillon Fußartillerie, wenn nicht aus vier, so doch wenigstens aus drei Batterien bestehend, erforderlich sein.
Die Berichte von den Kämpfen bei Tienstin lassen ebenfalls erkennen, daß die Chinesen sich zu decken verstehen. Aus unsichtbaren Stellungen brachten sie dort den Russen empfindliche Verluste bei. Auch für diesen Fall, zur Bekämpfung gedeckt aufgestellter Geschütze oder von Schützen hinter Deckungen, würde die Haubitze der Fußartillerie hervoragendes leisten. Wir denken dabei und stellen in Vergleich die Wirkung, die sich bei der Fußartillerie-Schießübung bei Kempten im vorigen Herbste zu erkennen gab. Wenn als Ultima ratio ein Geschütz berufen ist, so ist es die 15 cm Haubitze. Auch zur Besetzung und Vertheidigung eroberter Plätze würden schwere Kanonen erforderlich sein; wie viele, hängt von dem Lauf der Ereignisse ab.

(...)

Politische Tagesschau.

Bremerhaven, 26. Juli. Die Hohenzollern hat gegenüber der Einfahrt zum neuen Hafen Anker geworfen. Nach der Ankunft nahm der kaiser den Vortrag des Staatssekretärs v. Bülow entgegen, der auf der Hohenzollern verblieb. Um 4 1/2 Uhr verließ der Kaiser das Schiff und empfing am Bahnhofe die Kaiserin und die beiden kaiserlichen Kinder. Die kaiserlichen Herrschaften kehrten dann auf die Hohenzollern zurück. Prinz und Prinzessin sind ebenfalls eingetroffen.


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Freiburger Zeitung, No. 174, Sonntag 29.07.1900, 2. Blatt, Seite 2

Die Wirren in China.

Tiensten, 27 Juli. Gestern traf hier der Pferdeknecht des Frhrn. v. Ketteler ein, welcher behauptet, am 9. d. M. hätte die Gesandtschaft noch Standgehalten.
Berlin, 27 Juli. Das Wolff’sche Bureau meldet aus Tiensten vom 20. d. M.: Die Chinesen, angeblich 10 000 Mann stark, nahmen nördlich von Peisang eine befestigte Stellung ein. Dieselben werden daselbst von der russischen Kavallerie beobachtet.
Washington, 27. Juli (Reutermeldung.) Die Unionstaaten lehnten die Anregung der Chinesen ab, die militärischen Operationen gegen Peking, gegen die Auslieferung der Gesandten nach Tiensten, zu suspendieren.


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