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Freiburger
Zeitung, No. 143, Samstag 23.06.1900, Tagesausgabe, Seite 1
Von den
Wirren in China.
Das Interesse an den chinesischen Wirren drängt, so wird der Voss. Ztg.
Aus Kiel geschrieben, alles andere in den Hintergrund. Auf Befehl des
Kaisers soll die Ausreise des Panzerkreuzers Fürst Bismarck so beschleunigt
werden, daß das Schiff noch in diesem Monat den Kieler Hafen verlassen
kann. Die letzten Probefahrten haben schon stattgefunden. Das Gerücht,
daß noch weitere Kreuzer nach China gehen sollen, erhält sich mit großer
Bestimmtheit. Es wird behauptet, daß Finanzminister v. Miquel sich in
Travemünde in einem ähnlichen Sinne geäußert habe. Cawling, der Vertreter
von Politiken, meldet seinem Blatte, Miquel habe erklärt, Deutschland
erstrebe keine Landerweiterung und habe durchaus kein Interesse an Unruhen,
sondern sei für Ruhe und Ordnung. Es werde allein den deutschen aufblühenden
Handel in Ostasien aufrecht erhalten, aber dessen ungeachtet sei es
nothwendig, mehrere größere Kriegsschiffe an die chinesische Küste zu
entsenden. Wenn eine Verstärkung der deutschen Seestreitkräfte sich
in Ostasien als dringend herausstellen sollte, so würden voraussichtlich
der große Kreuzer Vineta, Komdt. Kapt. Z. S. da Fonseca-Wollheim, und
auch der kleine Kreuzer Geier, Komdt. Korv.-Kapt. Peters, herangezogen
werden. Auf die amerikanische Station werden nicht nur die Schulschiffe
gelangen, sondern auch das Kanonenboot Luchs Komdt. Korv. Kapt. Dähnhardt,
ein Schwesterschiff des Kanonenboots Tiger, wird in kurzer Frist die
Reise nach der amerikanischen Station antreten. Das Fahrzeug ist von
Danzig in Kiel eingetroffen, um seine Probefahrten zu erledigen und
seine Seebereitschaft vorzubereiten. Die Trauerkunde von dem Verlust,
den der Iltis bei der Erstürmung eines Takuforts erlitten, reißt auch
die alten Schmerzen wieder auf, die sich an den Untergang des gleichnamigen
Boots knüpfen, das am 23. Juli 1897 bei dem Schantung-Vorgebirge, das
von dem jetzigen Kriegsschauplatz nicht weit entfernt liegt, mit Mann
und Maus verloren ging. Der neue Iltis ist ein Dampfer von etwa 900
Tonnen mit einer Besatzung von 120 Mann, die von der Marinestation der
Nordsee gestellt worden ist. Im Nothfalle würden die deutschen Stationen
in Australien und Ostafrika wohl in der Lage sein, je einen kleinen
Kreuzer nach China zu detachiren. In Australien befinden sich zwei kleine
Kreuzer: Cormoran und Seeadler und das Spezialschiff Möwe. In Ostafrika
versehen den Dienst drei kleine Kreuzer: Schwalbe, Kondor und Bussard.
Der französische Konsul in Mongtse erhielt von dem französischen Konsul
in Yünnan Francois folgende aus Yünanfu vom 15. d. M. datirte Mittheilung:
Wir wurden am 12. Juni, als wir Yünanfu verlassen wollten, angegriffen
und gezwungen, in die Stadt zurückzukehren, unser ganzes Gepäck wurde
geplündert und die Eisenbahnstationen in Brand gesteckt. Nur mein Haus
blieb unverletzt, wo ich meine Landsleute versammelt hatte und wo wir
uns, mit Gewehren bewaffnet, hielten. Nach 48 Stunden ergriffen die
Mandarine endlich Maßnahmen. Ich forderte sie dringend auf, uns an die
Grenze zu führen und erwartete von ihnen, daß sie sich für die Wege
dorthin verbürgten. Es ist dringend nöthig, daß die französische Regierung
gebieterisch fordert, daß man uns ziehen lasse, da wir geradezu gefangen
sind. Augenblicklich sind alle Franzosen wohlbehalten.
Der amerikansiche Konsul in Tschifu meldet telegraphisch, daß die Mission
in Santschou geplündert wurde. Der dortige chinesische General brachte
die Missionare nach einem anderen Ort, man wisse nicht welchem, in Sicherheit.
Die chinesischen Schiffe vor Tschifu sind südwärts in See gegangen.
Die Russen fahren fort, Truppen in Taku zu landen.
Nach einer Meldung aus Taku sind dort Mittwoch 3000 Russen, ferner englisches
und ein deutsches Detachement zum Schutze der Niederlassungen in Tientsin
an Land gegangen. Das chinesische Nordgeschwader ist nach Yangtse abgefahren.
Aus Tokio, 21. Juni, meldet der japanische Konsul in Tschifu: Der englische
Admiral Seymour ist in Peking eingetroffen; das diplomatische Korps
blieb unversehrt. Nach amtlicher japanischer Meldung aus Tschifu wurde
die Fremdenniederlassung in Tientsin am 18. d. Mts. eingeäschert.
Der Berichterstatter des Daily Expreß verbreitet Sensationsgerüchte
über die Kaiserin von China. Nach den Angaben des einen hätte Fürst
Tuan den Kaiserpalast niedergebrannt, Kaiser und Kaiserin ermordet,
dann Selbstmord begangen. Nach anderen Berichten wäre die Kaiserin todt
und Tuan vershwunden. Die fremden Telegraphengesellschaften sollen
mit dem Gouverneur Schang [?] zu dem […?] gelangt sein, daß ein […?]
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Freiburger Zeitung, No. 143,
Samstag 23.06.1900, Tagesausgabe, Seite 2
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der Great Northern Company nach Tschifu gesandt wird und dort ins chinesische
Telegraphenamt eintritt, um die einlaufenden und abgehenden Depeschen
zu überwachen. Die von Kalkutta nach China bestimmte indische Truppenabtheilung,
eine gemischte Brigade unter Sir Alfred Gaselee, zählt zwischen 6000
und 7000 Mann. Weitere Nachschübe sollen vorbereitet werden.
Beruhigende Erklärungen
sind am Donnerstag in der französischen Deputirtenkammer abgegeben worden.
Auf eine Anfrage aus dem Hause, ob der Minister des Auswärtigen seit
seinen letzten Erklärungen Nachrichten aus China erhalten habe und welche
Maßregeln er beabsichtige, um das Leben der französischen Staatsangehörigen
zu sichern, antwortete Minister Delcassé (nach einem Telegramm der Straßburger
Post): Die beunruhigenden Nachrichten, die man seit einigen Tagen geflissentlich
verbreitet hat und wonach die fremden Gesandten in Peking ermordet und
Gesandtschaften zerstört worden seinen, waren durch nichts begründet.
Heute früh erhielt ich aus Shanghai ein Telegramm des französischen
Konsuls, aufgegeben am 20. Abends, wonach laut Nachrichten aus chinesischer
Quelle die Gesandtschaften und die Fremden am 16. unversehrt waren.
Vor drei Viertelstunden habe ich weitere Nachrichtem vom Konsul Francois
in Yuennanfu erhalten, der in einem Telegramm vom 19. meldet: Die chinesische
Behörden haben die Verantwortung, die sie auf sich laden könnten, einzusehen
angefangen. Francois glaubt, zur Abreise zu kommen. Die Lage habe sich
überhaupt gebessert. Der Minister fügt hinzu, der Aufstand habe Peking
bedroht, von wo aus man 100 Matrosen von der Marinestation verlangt
habe. Ende Mai seien 600 Mann aus Frankreich abgegangen, um die ostasiatischen
Kontingente nach Bedarf abzulösen. Die Kammer werde sich erinnern, was
er am 11. d. M. hier erklärte. Am 14. d. M. wurde der Verkehr mit der Hauptstadt Peking abgebrochen.
Der Gouverneur von Indochina wurde angewiesen, die von unserem Pekinger
Gesandten Pichon verlangten Truppen abzusenden. Am 17. ist von Saigon
ein Dampfer mit den Mannschaften für Taku, einem Bataillon und einer
Batterie nach Taku eingeschifft worden, es sind das die ersten Maßregeln;
sie wurden so rasch durchgeführt wie es eben anging. Was die Zukunft
betrifft, so werden am 29. zwei Transportschiffe mit zwei Bataillonen
und zwei Batterien abgehen, wodurch die Stärke der französischen Truppen
auf 4000 Mann gebracht werden wird. Eine Division moderner Kreuzer mit
einer Schnelligkeit von mindestens 17 Knoten wird noch zu dem Geschwader
des Admirals Courrejolles stoßen. Frankreich wird alsdann acht große,
ganz neue Kreuzer sowie einen Aviso und vier Kanonenboote in Ostasien
haben. Mit diesen Streitkräften wird Frankreich in engem Bunde in Rußland
in der Lage sein, sich an dem Werke menschlicher Gemeinbürgschaft zu
betheiligen, an dem sämmtliche Mächte sich betheiligen werden, um in
Peking eine Regierung einzusetzen, die den Westländern dieselben Bürgschaften
bieten wird, wie die Chinesen sie in Europa finden. (Beifall.) Die Kammer
wird sich erinnern, daß der Konsul Francois als Gefangener zurückbehalten
wurde. Dieser Beamte kennt China. Im Nothfall wendet er sich an seine
Regierung. Er hat indes keine Truppen verlangt: er giebt im Gegentheil
an, was man nicht thun soll und sagt: “Namentlich senden Sie keine Truppen
aus Indochina nach Yuennan!“ . Beim Empfang dieses Telegramms ersuchte
ich den chinesischen Gesandten, an den Vizekönig von Yuennan zu telegraphiren,
daß er mit seinem Leben für das Leben der Franzosen einstehe und daß
Frankreich ihn schon finden würde. (Beifall.) Frankreich wird die Sicherheit
seiner Angehörigen in Peking selbst befestigen. Alle Mächte sind über
diesen Punkt einig. (Beifall.) Ich erinnere endlich noch daran, daß
das Einvernehmen der Mächte vollständig ist in Hinblick auf das in Peking
durchzuführende Werk, und es gereicht mir zur Genugthuung, meine heutigen
Erklärungen vor der Kammer mit dem Hinweis darauf beschließen zu können. (Beifall.)
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Freiburger Zeitung, No. 143,
Samstag 23.06.1900, Tagesausgabe, Seite 3
Die Wirren in China.
Berlin, 21. Juni. Als Tag der Ausreise für die beiden
zum Transport der Truppen nach China gecharterten Dampfer Wittekind
und Stuttgart ist der 3. Juli in Aussicht genommen. Der Kaiser hat befohlen,
daß auch ein Detachement Pioniere nach Maßgabe des verfügbaren Raumes
in Stärke von etwa einer Kompagnie eingeschifft wird.
Hongkong, 21. Juni. (Reuter.) Nach hier aus Kanton
eingetroffenen Meldungen willigte Li-Hung-Tschang auf die Vorstellungen
der fremden Konsuln, daß sonst auch dort Unruhen ausbrechen würden,
ein, in Kanton zu bleiben.
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