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Freiburger
Zeitung, No. 142, Freitag 22.06.1900, Tagesausgabe, Seite 1
Zu den Wirren in China
liegen inzwischen viele Aeußerungen der Presse vor, von denen wir die
der Deutschen Tageszeitung unseren früheren Ausblicken folgen lassen:
Wenn wir bisher auch nur drei Todte zu beklagen haben, so dürfen wir
Deutsche die Leute unsers Volkes so hoch bewerthen, daß gegen die drei
gefallenen Blaujacken die englischen Earls und sonstigen vielen Offiziere,
die in dem grausamen, blutgierigen, ungerechten Kriege gegen unsere
niederdeutschen Stammesbrüder in Afrika auf der Wahlstatt geblieben
sind, für unser Empfinden federleicht in die Wagschale fallen, und unser
Empfinden, die Gefühle des deutschen Volkes sind für uns allein maßgebend.
Es steht zu befürchten, daß dieses theure Blut unserer Volksgenossen
nicht das einzige sein wird, welches im fernen Asien als Dünger für
eine bessere Zukunft vergossen werden wird, aber wir wollen darüber
nicht klagen, daß uns Opfer abgefordert werden, wir wollen stolz sein
auf unsere Marine und uns der sicheren Hoffnung hingeben, daß aus dem
vergossenen und noch zu vergießenden Blute eine Saat sprießen wird,
welche die Menschheit ebenso wie unser Volk uns danken wird. Das menschliche
Leben hat nur dann einen Werth, wenn es für die ideale Sache todesmuthig
in die Schanze geschlagen wird. Unsere heidnischen Ahnen versprachen
dem auf dem Felde der Ehre Gefallenen den schönsten Lohn, Walhall, und
die deutsche Auffassung des Christenthums ist so unzertrennlich von
der Vaterlandsliebe, von dem Gefühl engster Verbundenheit aller Volksgenossen,
daß auch unsere moderne religiöse Ueberzeugung die Opfer des Kampfes
für die Allgemeinheit als von der Vorsehung besonders bevorzugte Glieder
der Nation betrachtet. Diese unerschütterliche Ueberzeugung macht das
Sterben leicht und widmet den letzten Hauch der entfliehenden Seele
dem theuren Vaterlande. So dürfen wir denn mit größter Zuversicht und
in felsenfestem Vertrauen der weiteren Entwicklung der Dinge in China
entgegensehen. Die aus China eingetroffenen Nachrichten zeigen, daß
es sich nicht mehr um die Unterwerfung des Boxeraufstandes, sondern
lediglich um die Beseitigung der chinesischen Herrschaft handelt. Daß
dieser Kampf nur mit einer Unterwerfung Chinas durch die Mächte endigen
kann, darüber herrscht wohl nirgends ein Zweifel, wir sagen durch die
Mächte und meinen damit Rußland, Frankreich, Deutschland und Japan,
also diejenigen Staaten, welche allein berechtigte Interessen in China
zu vertrehen haben. England hat sein Anrecht auf die Erschließung Chinas
verwirkt. Eine Macht, welche sich nicht scheut, eine harmlose, gottesfürchtige,
stammverwandte Bevölkerung, also ein vielversprechendes Kulturelement
zu bekriegen, hat keinen Anspruch mehr darauf, als Kulturmacht im europäischen
Areopag anerkannt zu werden. England hat China gegenüber diesen Anspruch
noch besonders dadurch verwirkt, daß es ihm mit Waffengewalt das entnervende
Gift des Opiums aufgedrängt hat, nur aus dem Grunde, um seine Ausbeutung
Indiens ergiebiger zu machen. Es ist jetzt die Zeit der Abrechnung gekommen
für die Sünden Englands gegen die Menschheit. Gottes Mühlen mahlen langsam,
aber sicher, und wir hoffen, daß wir in dem jetzigen Kriege gegen China
das göttliche Walten erkennen dürfen, das einer Macht Schranken, unübersteigliche
Schranken entgegenstellt, welche nichts anderes anerkennt als den Gelderwerb
und tief unter dem römischen Kaiser steht, der das durch eine unappetitliche,
aber Niemanden schädigende Industrie erworbene Geld mit lächelndem Munde
und der Bemerkung: non oiet dem Staate dienstbar machte. Das Geld,
welches England erworben hat, trägt den Fluch von Millionenen Menschen,
und die europäischen Kulturvölker haben vor Gott und sich selbst die
Pflicht, dafür Sorge zu tragen, daß in Zukunft eine derartige Mißhandlung
friedlicher Völker durch England unmöglich gemacht wird. Darin besteht
in kurzen Worten das Programm der Zukunft Chinas. Neidlos werden wir
Deutschen dem russischen Nachbarreiche die Vormacht in China lassen.
Die russische Bevölkerung drückt die ihr unterworfenen Völker nicht,
Grausamkeit ist ihr fremd. Die Franzosen sind ein hochentwickeltes
Kulturvolk, dessen Wirken in China nur segensreich sein kann. Unsere
Mitwirkung bei der Pacificirung Chinas giebt uns den Anspruch auf Berücksichtigung
unserer Interessen. Wir sind überzeugt, daß weder Rußland noch Frankreich
etwas dagegen haben werden, wenn wir unsern Stützpunkt in Ostasien,
der immer nur handelspolitischer Art sein kann, erweitern und sichern.
Auch Japan ist schon geographisch berechtigt, für seine Mitwirkung an
der Friedensarbeit Entschädigungen zu fordern. Das gemeinsam vergossene
Blut ist ein Strick, welcher hält und Zwistigkeiten für die Zukunft
ausschließt. Die einzige Macht, welche Unfrieden säen kann und sicherlich
auch will, ist England. Das ist aber in Folge des Krieges in Afrika
ohnmächtig, und wir halten es für ausgeschlossen, daß derartige Bemühungen
Englands erfolgreich sein können, wenn wir die von uns empfohlene Politik
des Anschlusses an den Zweibund treiben.
—
Mobilmachung in Deutschland.
Telegramm. Auf Befehl des Kaisers werden beide Seebataillone
durch Freiwillige aus der Armee auf Kriegsstärke gebracht und für den
Transport nach China vorbereitet. Außerdem soll ein Personal für 6 bespannte
Geschütze von Kiautschou gestellt und eine vollständige Batterie mit
Personal aus den Beständen der Armee abgegeben werden.
Nachdem in China ein Angriff auf das „Bundesgebiet“ – letzteres in erweitertem
Sinne aufgefaßt – erfolgt ist, hat der Kaiser als oberster Kriegsherr
die dem Umfang der Kriegsgefahr entsprechende Mobilmachung der Marineinfanterie
angeordnet. Es ist ein eigenes Zusammentreffen, daß die Theilmobilmachung
vom 19. Juni 1900 mit dem Unterschied eines Monats zeitlich fast zusammentrifft
mit der letzten großen Mobilmachung vom 15. Juli 1870. Seitdem, genauer
gesagt, seit dem Frankfurter Frieden vom 10. Mai 1871, ist im Deutschen
Reiche keine Mobilmachung mehr erfolgt, denn die kleinen Theilentsendungen
in die Schutzgebiete, die mitunter nöthig waren, zählen nicht mit. Es
ist jetzt, wie die Straßb. Post hervorhebt, tahtsächlich das erste Mal,
daß ein deutscher Kaiser im neuen Reich eine Mobilmachung empfohlen
hat. Von einer Verwirrung in einem durch plötzliche Mobilmachung betroffene
Truppentheile kann in Deutschland nicht im entferntesten die Rede sein.
Spitzt sich doch die ganze kostspielige, verwickelte, in aufreibender
Arbeit im Stande gehaltene und geförderte Organisation der deutschen
Streitkräfte auf diesen einen Augenblick und die sich aus ihm ergebenden
taktischen und strategischen Folgen zu, auf den Augenblick, da aus dem
kaiserlichen Hauptquartier, Hoflager oder wie man das nennen will, der
telegraphische Befehl im Geschäftszimmer des betroffenen Truppentheils
eintrifft: Mobil! Erster Mobilmachunstag am 19. Juni! Von diesem Zeitpunkte,
dem „ersten Mobilmachungstage“ an, steht ein großer Organismus vollständig
still, nämlich der Dienstbetrieb in Friedenszeiten, und ein neuer bekommt
mit einem Schlage Leben, der Dientsbetrieb in Kriegszeiten. Die mit
verstärkten Kräften arbeitenden Geschäftszimmer entsenden telegraphische
Gestellungsbefehle an die Offiziere, Aerzte und Mannschaften des Beurlaubtenstandes
und der Reserve, die zu den betreffenden Truppentheilen gehören. Auch
im Breisgau trafen gestern mehrere solcher Befehle ein. Bald wird die
Nachricht eintreffen, daß die großen Dampfer Frankfurt und Wittekind
mit der Marineinfanterie an Bord die Reise nach China angetreten haben.
Die Schiffe des Norddeutschen Lloyd und der Hamburger Dampfergesellschaft
sind für den Kriegsfall jederzeit bereit und in ihrem Bau auch so eingerichtet,
daß sie sofort zu Kriegszwecken umgewandelt werden können.
Der Kommandeur der Kanonenbootes Iltis, Korvettenkapitän Wilhelm Lans,
der bei der Einnahme der Forts am Taku angeblich verwundet worden ist,
war schon seit der Einstellung des Iltis in den Dienst Befehlshaber
des Schiffs, das er, nachdem unter seiner Leitung die Probefahrten im
Herbst 1898 abgehalten worden waren, im Winter 1898/99 auf die ostasiatische
Station gebracht hat. Kapt. Lans ist etwa 40 Jahre alt. Es gehört der
kaiserlichen Marine seit dem 23. April 1878 an. Am 17. Dezember 1881
wurde er Unterleutnant und stand dann bei der 1. Matrosendivision, hatte
auch zeitweise Bordkommandos, so 1884 auf der Nymphe. Nachdem er am
19. März 1885 Lt. z. S. geworden war, erhielt er 1886 die Kommandantenstelle
des Torpedoboots S12 und war dann einige Zeit erst zur Torpedoversuchskommission,
demnächst zur Inspektion des Torpedowesens kommandirt. Am 11. April
1892 rückte er zum Kapt.-Leutn. auf und besuchte die Marineakademie,
nach deren Absolvirung er 1894 als zweiter Offizier auf das Linienschiff [?] Kurfürst Friedrich Wilhelm kam. 1895 wurde er zum Oberkommando
der Marine kommandirt und blieb hier, bis er im Herbst 1898 Kommandant
des Iltis wurde.
Die Engländer in Peking!
Ueber das Schicksal der Europäer in Peking gehen die auch chinesischen
Kreisen stammenden Angaben auseinander. Nach den Angaben der einen habe
in Peking ein wilder Ausbruch stattgefunden, der allen Europäern das
Leben gekostet habe. Andere behaupten, die britische Flagge wehe über
dem Südthor Pekings. In chinesischen Kreisen läuft hartnäckig das Gerücht
um, der Kaiser von China sei todt. Die Nachricht über einen nach dem
Angriff auf die Forts erfolgten Aufruhr in Peking, bei dem alle Europäer
nach verzweifelter Gegenwehr, unter großen Verlusten der Chinesen, erst
bei ganz erschöpfter Munition ums Leben gekommen wären, stammt nach
der Daily Expreß aus Tschifu.
Shanghai, 20. Juni. Die Times meldet: Ein durch Kurire
überbrachtes Telegramm des Eisenbahndirektors Sheng bestätigt die Nachricht,
daß Admiral Seymour mit den vereinigten Truppen am 17. d. M. in Peking
eingetroffen ist. Es fehlen noch Einzelheiten über etwaige Verluste
oder den Stand der Dinge in Peking. Bezüglich dieser herrscht große
Sorge.
London, 20. Juni. Die britische Flagge wehte gestern
auf dem Südthore von Peking.
Kleinere Nachrichten.
Wien, 20. Juni. Die Neue Freie Presse erfährt, daß die russische
Regierung in dem Rundschreiben, in dem sie die Entsendung von 4000 Mann
nach China mittheilt, des ferneren auch auf ein Festhalten der Vereinbarungen
der internationalen Mächte hinweist, sodaß somit jedes Sonderinteresse
Rußlands ausgeschlossen ist.
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Freiburger Zeitung, No. 142, Freitag
22.06.1900, Tagesausgabe, Seite 2
Paris, 20. Juni. Die Agentur Havas meldet:
Spätestens am 3. Juli sind 2000 Franzosen in Taku vorhanden. Am 29.
d. M. gehen ferner 2200 ab. Eine Kreuzerdivission geht spätestens am
29. d. M. ab. Alsdann sind 7 französische Kreuzer, 1 Aviso und 1 Kanonenboot
an der Küste von China.
London, 19. Juni. Die gegenwärtig in Portland liegenden
englischen Kriegsschiffe Diadem und Furiosus erhielten Befehl, nach
China zu gehen.
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