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"Hat Deutschland eine Colonial-Politik?" - Der Samoa-Vertrag

Freiburger Zeitung, Nr. 135, Donnerstag, 12.06.1879 (Tagesausgabe), 1. Seite

Hat Deutschland eine Colonial-Politik?

Als Deutschland, militärisch-diplomatisch zusammengeschweißt durch den mächtigen Kriegshammer Thors, wiederum eine Großmacht ward unter den Nationen der Erde, da konnte der Ruf nach Colonien nicht ausbleiben. Er erhob sich denn auch sofort nach dm Umschwung von 1866 und abermals nach dessen Vollendung 1870/ 71, doch ohne in Berlin erhört zu werden. Vielmehr ging man im Mittelpunkte der Reichsgewalt jeder dahin lockenden Versuchung geflissentlich weit aus dem Wege. Der Ruf verklang allmälig, aber natürlich nicht für immer. Einmalige noch so kalte Abweisung erstickt einen Drang dieser Art nicht und eben jetzt wurde ein neuer Chor von Stimmen laut für nationale Colonisation. Wir erinnern nur an die Schrift Dr. Fr. Fabri's, welche den Titel trägt: „Bedarf Deutschland der Colonien?“ und an die ganze große und weitschichtige Erörterung, welche die deutsche Presse in durchaus bejahendem Sinne an diese Frage knüpfte. Die Reichsregierung gab, wie das ihre Art ist, eine directe Antwort nicht. Aber bald, nachdem die Preßdebatte über die Colonien ein wenig geräuschloser wurde, veröffentliche sie den Inhalt des unterm 24. Januar ds. Js. mit der Regierung der Samoa-Inseln abgeschlossenen Vertrags und andere dazu gehörige Aktenstücke, aus welchen Veröffentlichungen ganz unzweifelhaft hervorgeht, daß die deutsche Regierung heute noch nicht Willens ist, eine Colonialpolitik im Sinne der Fabri'schen Schrift zu treiben.

Das Wesentliche des Vertrags mit den Samoa-Inseln ist, daß derselbe Deutschland gegen Bestrebungen sichert, die Samoa-Inseln, auf denen der deutsche Handel gegenwärtig, Dank der energischen Thätigkeit unserer Landsleute, dem aller anderen Nationen überlegen ist, unter das Protectorat irgend einer fremden Macht zu bringen. Die Erreichung dieses Ziels verbürgt der Vertrag dadurch, daß er der kaiserlichen Regierung das Recht zur Mitwirkung, bei Herstellung staatlicher Zustände auf Samoa gewährt. Deutschland ist dadurch in den Stand gesetzt, jede Veränderung der Verhältnisse auf Samoa von seiner Zustimmung abhängig zu machen. Im Uebrigen hat das Reich durch diesen Vertrag in Verbindung mit dem Vertrage mit Tonga und den Conventionen mit den andern unabhängigen Inselgruppen der Südsee dort dem deutschen Unternehmungsgeist ein weites Gebiet gesichert, wo er sich unabhängig von den Gesetzen und fiscalischen Bedürfnissen concurrirender Nationen frei entfalten kann, ein freies Absatzgebiet für deutsche Industrie-Erzeugnisse und ein freies Productionsgebiet für alle s. g. Colonialwaaren. Bei den Vertragsverhandlungen war als Grundsatz maßgebend, die volle Gleichberechtigung Deutschlands mit andern Nationen und es wurde dieser Grundsatz im diplomatischen Verkehr mit den hier hauptsächlich concurrirenden Regierungen von England und den Vereinigten Staaten mit solchem Erfolg in den Vordergrund gestellt, daß England und Amerika durch die Noten vom 10. Mai 1877 bezw. 15. Juli desselben Jahres erklärten, ersteres theile die Auffassung der deutschen Regierung und letzteres kommen den Wünschen der deutschen Regierung so weit thunlich entgegen. Insoweit englische und amerikanische Beamte eine gegentheilige Thätigkeit entwickelten, wurden sie desavuirt und abberufen. Diesem Streben nach Erreichung der Gleichberechtigung hat es die deutsche Regierung zu verdanken, daß amtliche Einsprachen und Beschwerden, deren Vermeidung das auswärtige Amt des deutschen Reichs durch die Depesche an den Grafen Münster in London (11. November 1877) als sehr wünschenswerth bezeichnete, gar nicht vorkamen. Die Cabinete von St. James und Washington sahen sich in dieser Angelegenheit vor die eigenthümliche Wahl gestellt: entweder wir räumen Deutschland in der Südsee volle Gleichberechtigung ein oder wir müssen es erleben, daß Deutschland zu einer förmlichen Colonialpolitik übergeht. Hierüber läßt ein Bericht des deutschen Consuls Weber vom 22. Januar 1879 keinen Zweifel. In diesem Bericht lautet eine Stelle: „Die kaiserliche Regierung hat allerdings bisher den Standpunkt eingenommen, keine Colonien erwerben zu wollen. Dieselbe wird sich aber andererseits auch nicht der Nothwendigkeit verschließen können, wenn die hiesigen deutschen Interessen beschützt und gefördert werden sollen, zunächst eine feste und leitende Stellung in den Angelegenheiten dieses Landes zu erhalten, um zu verhüten, daß andere Nationen durch Besitzergreifung gewisser Felder der deutschen Thätigkeit oder durch ähnliche Maßregeln diese deutsche Thätigkeit als solche ausschließen und überhaupt lebensunfähig machen.“

Und ein hochofficiöser Artikel der „Nordd. Allg. Ztg.“ vom 27. vor. Mts. hebt noch einmal ausdrücklich hervor: „Sollte die bisherige, der Erwerbung von Colonien abgewandte Politik Deutschlands nicht verlassen werden, so müßte die Neutralität jenes Gebietes möglichst gesichert und der Grundsatz der vollen Gleichberechtigung Deutschlands mit andern Nationen zur allseitigen Anerkennung gebracht werden. Dem entsprechend lauteten die dem Consul in Apia und dem Commandanten der kaiserlichen Kriegsschiffe ertheilten Instruktionen.“ Also nochmals: die Wahl lautete Gleichberechtigung oder deutsche Colonialpolitik. Die Mächte zogen vor erstere zu gewähren, um nicht letztere in's Leben zu rufen. Sonach müssen wir die an die Spitze des gegenwärtigen Artikels gestellte Frage verneinen und sagen: Deutschland hat zur Zeit noch keine Colonialpolitik, und es scheint auch nicht, als ob die Reichsregierung eine solche inaugiren wollte. Doch muß noch auf Eines hingewiesen werden. In dem natürlichen Bestreben, die vertragsmäßig errungene Gleichberechtigung auch dem Wesen nach und nicht nur auf dem Papier zu sichern, hat nämlich die deutsche Regierung die Nothwendigkeit eingesehen, jede Veränderung der staatlichen Verhältnisse von seiner Zustimmung abhängig zu machen und zu diesem Behufe, wie Consul Weber sagte, eine feste und leitende Stellung in diesen Gegenden zu erwerben. Deswegen wurde der Grundsatz der Gleichberechtigung zu unsern Gunsten durchbrochen, indem die Regierung der Samoa-Inseln sich verpflichten mußte (Artikel V. des Vertrags), in Bezug auf den Hafen von Salnafata und seine Ufer keiner anderen Regierung gleiche Rechte, wie die der deutschen Regierung bewilligten, zu gewähren. Dort ist - die Oberhoheit der Samoa-Regierung vorbehalten – Deutschland allein Herr, in Apia und allen andern Plätzen, Häfen und Gewässern gleichberechtigt. Wir wiederholen also: Deutschland hat noch keine Colonialpolitik; es bleibt den Freunden und Anhängern einer solchen jedoch unbenommen, den Reim dazu in den Rechten auf das Territorium von Salnafata zu erblicken. Der deutschen Reichsregierung und ihrer Diplomatie aber wird man in diesem Falle das Zeugnis nicht versagen dürfen, daß sie geschickt vorging und die Interessen des deutschen Handels ausgiebig wahrte.


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