Hinweis zur Transkription: Die Flublätter werden so dargestellt, dass Gestaltungsformen und Hervorhebungen des Originals hier zum Teil nachempfunden sind; sie entsprechen aber insgesamt nicht dem Originallayout. Auch wird hier auf mehrspaltige Darstellung verzichtet. Zur genauen Zitierfähigkeit sind ggf. die Seitenwechsel kenntlich gemacht. Schreibweisen wurden durchgängig dem Original gemäß übernommen - also mit Fehlern.
|
Dokumentation historischer Quellen und Dokumente: Die Reichstagswahlen 1907 |
|||||||||||||||
In Freiburg verteiltes Flugblatt des Wahlkomitees der Zentrumspartei im V. Badischen Reichstagswahlkreis. Quelle: Stadtarchiv Freiburg M31/1b, Nr. 19 (2 Seiten, Hervorhebungen im Original; Transkription: Jonas Molitor, Korrektur/Layout/Scans: Heiko Wegmann) [Zum Vergrößern des Bildes darauf klicken] Mitbürger! Wähler des V. Wahlkreises! Ohne jeden Stichhaltigen Grund ist die Auflösung des Reichstags erfolgt. Die durch das Zentrum beantragte Herabminderung des Nachtragsetats um annähernd 9 Millionen Mark war nur ein Vorwand für diese ungewöhnliche und die weitesten Volkskreise verbitternde Maßregel. Die auch vom Zentrum bewilligten 20 Millionen Mark hätten der Regierung recht wohl die ungeschwächte Fortführung der kriegerischen Operationen bis zur Bewilligung des nächsten ordentlichen Etats möglich gemacht. Der Führer des Zentrums hatte überdies ausdrücklich erklärt, daß das Zentrum zur Bewilligung einer entsprechenden Nachforderung bereit sein würde, wenn die genehmigten Mittel nicht ausreichen sollten. Auch der Antrag des Zentrums, daß spätestens bis zum 31. März 1907 Vorbereitungen zu treffen seien, um die Gesamtstärke der Schutztruppe auf die Zahl von 2500 herabzumindern, muß als gerechtfertigt anerkannt werden; denn es standen nur noch 300 feindliche Hottentotten im Feld und alle Parteien waren darüber einig, daß seinerzeit zum großen finanziellen Schaden des deutschen Volkes viel zu große Truppenmassen zur Bewältigung des Aufstandes nach Südafrika entsandt worden waren. Die inzwischen erfolgte Gefangennahme der der Bondelzwarts und die damit in unmittelbare Nähe gerückte völlige Unterdrückung des Aufstandes hat bewiesen, daß das Zentrum die Sachlage richtig beurteilt hat Unsere Reichsschuld ist auf vier Milliarden gewachsen. Gewaltige Anforderungen für Militär-, Marine- und Kolonialzwecke stehen noch weiter bevor. Dabei ist für die dringendsten Gehaltsaufbesserungen großer Beamtenkreise, desgleichen für viele wichtige Kulturzwecke kein Geld vorhanden. Wird da nicht Sparsamkeit zur unerbittlichen Notwendigkeit? 400 Millionen hat der Aufstand in Südwestafrika schon bisher verschlungen; bis zum 1. April 1908 kommen für Etatsüberschreitungen und Nachtragetats, Bahnbauten und Kosten der Schutztruppe für 1907 weitere 200 Millionen dazu. Es ist gar nicht daran zu denken, daß uns die Kolonie diese Summe oder auch nur die Zinsen jemals wieder einbringen wird. Jeder einzelne deutsche Soldat in dieser Kolonie kostet jährlich nahezu 10,000 Mark. Da wäre es wahrlich an der Zeit, daß die Mannschaften vermindert und nach dem Vorschlage des Zentrums möglichst durch billigere Polizeitruppen ersetzt werden. Nur Unverstand und blinde Parteileidenschaft können die Berechtigung dieses Standpunkts in Abrede stellen. Es war deshalb von vornherein klar, daß die Differenz wegen des Nachtragsetats nicht der wahre Grund der Reichstagsauflösung ist. Zum Ueberfluß wird durch den Silvesterbrief des Reichskanzlers bestätigt, daß die Auflösung des Reichstags von langer Hand her geplant war. Das Zentrum aus seiner ausschlaggebenden Stellung zu verdrängen, ist der wahre und einzige Zweck der ganzen Aktion. Die Regierung will einen gefügigeren Reichstag haben, der alle ihre Anforderungen für Heer und Marine, für Kolonien und Weltpolitik unbesehen bewilligt und sich zu jeder gewünschten Mehrbelastung der breiten Massen des Volkes herbeiläßt. Nicht um die Machtstellung und Waffenehre des Reiches handelt es sich, sondern darum, ob die Volksvertretung und damit das Volk selbst als gleichberechtigter Faktor neben der Regierung in Betracht kommen soll, oder ob die immer häufiger zu Tage tretenden absolutistischen Neigungen auch seitens der deutschen Wähler Billigung und Stärkung erfahren sollen. Die nationalliberale Partei freilich hat, wie 1887, versucht, den urteilslosen Teil der Wählerschaft durch patriotisch klingende Schlagwörter und nationale Phrasen in eine Hurrahstimmung zu versetzen und über die wahren Tatsachen hinwegzutäuschen. Aber gerade die nationalliberale Partei ist am wenigsten berechtigt, von einem Druck, den das Zentrum auf die Regierung ausgeübt habe, oder gar von einer Nebenregierung des Zentrums zu fabeln. War es nicht gerade die nationalliberale Partei, die bei uns während mehrerer Jahrzehnte ein tyrannisches Parteiregiment unseligen Andenkens ausgeübt hat? Und verlangt sie nicht im Verein mit den anderen Blockparteien auch jetzt schon wieder für die der Regierung in Aussicht gestellte Hilfe, sogenannte „Konzessionen“? In Wahrheit hat nie eine große, ausschlaggebende Partei ihre Mitarbeit selbstloser in den Dienst des Vaterlands gestellt, als dies nun schon lange Jahre vom Zentrum geschehen ist. Herr von Kardorff, der Führer der Reichspartei, ehedem einer der schärfsten Gegner des Zentrums, hat im Reichstage wörtlich erklärt: „Wir können nicht sagen, daß die Herren vom Zentrum gewissermaßen ultramontane Politik getrieben haben. Nein, m. H., sie haben deutschnationale Politik bei uns getrieben in der Herstellung unserer Wehrkraft, sie haben deutschnationale Politik getrieben in der Herstellung der deutschen Flotte, sie haben deutschnationale Politik getrieben mit uns in der Frage der Kolonialpolitik und sie haben endlich deutschnationale Politik getrieben bezüglich des Zolltarifs.“ Und der Reichskanzler Fürst Bülow hat darauf erwidert, daß er auch seinerseits diese Ausführungen „über die dankenswerte Mitarbeit des Zentrums an großen nationalen Fragen“ unterschreibe. Kein Unbefangener kann die Berechtigung dieses Lobes aus dem Munde politischer Gegner anzweifeln. Wo sind nun aber die Konzessionen oder Gegendienste, die das Zentrum für diese patriotische Mitarbeit für sich je erhalten oder auch nur verlangt hätte? Nie ist ein Minister den Reihen des Zentrums entnommen, nie ist seinen Mitgliedern eine besondere Berücksichtigung seitens der Regierung zu Teil geworden. Nicht einmal die völlige Aufhebung des Jesuitengesetzes hat das Zentrum durchzusetzen vermocht. [Wechsel auf Seite 2] Und für sich selbst hat das Zentrum überhaupt nichts erstrebt, seine ganze Arbeit hat immer nur dem Besten des Volkes gegolten. Mit berechtigtem Stolz kann das Zentrum darauf hinweisen, daß es in volkswirtschaftlicher und sozialpolitischer Hinsicht sehr vieles für das deutsche Volk erreicht hat. Was für die Arbeiter die Handwerker, die Landwirtschaft, den ganzen Mittelstand in den letzten Jahren auf dem Gebiete der Gesetzgebung erreicht wurde, ist nur durch seine entscheidende Mitwirkung und vielfach auf seine Anregung hin zustandegekommen. Daß bei der Reichsfinanzreform die kleinen Leute möglichst geschont, daß die neuen Lasten möglichst auf die starken Schultern überwälzt, daß nicht wieder vorwiegend Gegenstände des Massenverbrauchs besteuert worden sind, wie es die Regierung vorschlug, ist das unbestreitbare Verdienst des Zentrums. Ausgleichende Gerechtigkeit zwischen den verschiedenen Interessen, Sorge für die kleinen und schwachen im Volke, wirtschaftliche Besserstellung, vor allem der niederen und mittleren Beamten und Angestellten sind Ziele des Zentrums. Die Verleihung der Rechtsfähigkeit an die Berufsvereine, die Errichtung von Arbeitskammern, die Vereinheitlichung der Versicherungsgesetze, die Einführung eines Befähigungsnachweises im Baugewerbe und des sogenannten kleinen Befähigungsnachweises, die Sicherung der Forderungen der Handwerker, die den gesteigerten Lebensmittelpreisen entsprechende Erhöhung der Bezüge der unteren und mittleren Beamten und Angestellten des Reichs sind nach der Auffassung des Zentrums auf sozialem Gebiete die nächsten und wichtigsten Aufgaben des Reichstages. Wie bisher wird das Zentrum auch ferner alles bewilligen, was des Reiches Macht und Ehre erheischt. Aber alle Bestrebungen, die Volksrechte, vor allem das Wahlrecht zu verkümmern, den Reichstag zu einem Scheinparlament herabzudrücken und sein Budgedrecht, wenn auch nur in Militär- und Kolonialfragen, zu schmälern, werden an ihm einen unerbittlichen Gegner finden. Im Interesse der Ausbreitung christlicher Religion und Kultur und der Förderung des deutschen Handels ist das Zentrum schon bisher für eine vernünftige Kolonialpolitik eingetreten. Schon zur Hochhaltung unserer nationalen Ehre wird das Zentrum auch in Zukunft alles bewilligen, was zur Erhaltung und Förderung der Kolonien erforderlich ist. Wie es aber sein unbestreitbares Verdienst ist, daß die traurigen Kolonialskandale aufgedeckt und abgestellt wurden, so wird das Zentrum als unabhängige Volkspartei auch fernerhin sorgfältig darüber wachen, ob Wiederholungen jener traurigen Vorkommnisse vermieden, ob die Eingeborenen in den Schutzgebieten gerecht und menschlich behandelt werden. Es wird nach wie vor energisch darauf dringen, daß der bisherigen unsinnigen Verschwendung in unseren Kolonien wie auch der schädigenden Vergünstigung einiger Großfirmen (vergleiche Tippelskirch und Wörmann) ein für alle mal ein Ende gemacht wird. Auch wird es wie bisher allen Versuchen entgegentreten, durch kulturkämpferische Vergewaltigung der religiösen Freiheit den inneren Frieden des Vaterlands zu zerstören. Mitbürger! Zu diesem [sic] Grundsätzen bekennt sich unser Kandidat, Herr Bäckermeister Karl Hauser, Stadtverordneter, Bezirksrat und Feuerwehrkommandant in Freiburg. In unserem Wahlkreis aufgewachsen und darin wohnend, ein tüchtiger Handwerksmeister, ist Herr Karl Hauser mit den Verhältnissen und Bedürfnissen unseres Wahlkreises bestens vertraut. In den mannigfachen Ehrenstellen, zu denen er durch das Vertrauen seiner Mitbürger berufen wurde, hat er sich die zur erfolgreichen Ausübung eines Abgeordnetenmandats erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen in reichem Maße erworben. Oft ist es beklagt worden, daß sich unter den Abgeordneten zu wenige Geschäftsleute, vorab Handwerker, befänden. Wohlan denn, Mitbürger, sorgen wir dafür, daß dem Reichstag in der Person unseres Kandidaten ein erfahrener und tüchtiger Geschäftsmann als Mitglied zugeführt wird. Vereinigt einmütig Eure Stimme auf ihn! Wenn unsere Gesinnungsgenossen allenthalben von ihrem Wahlrechte Gebrauch machen, können wir im ersten Wahlgang siegen. Wohlan denn! Sparen wir uns die Mühe und Aufregung der Stichwahl, indem wir einmütig schon im ersten Wahlgange unsere Schuldigkeit tun. Wer nicht wählt, verhilft dem Gegner zum Sieg. Die Saumseligkeit eines einzigen kann die Arbeit und den Eifer von tausenden in Frage stellen. Drum auf zur Wahl, der letzte Mann im letzten Dorf! Keiner fehle! Jeder wähle! Freiburg, im Januar 1907 Das Wahlkomitee der Zentrumspartei im V. Badischen Reichstagswahlkreis. ---------------- J. Dilger'sche Buchdruckerei, Freiburg i. Br. |
||||||||||||||||
Übersicht zu den Reichstagswahlen 1907 Flugblätter/Flugschriften
Zeitungen
Hintergrundtext zum Thema:
|
||||||||||||||||
|
||||||||||||||||