logo

Hinweis zur Transkription:

Die Flublätter werden so dargestellt, dass Gestaltungsformen und Hervorhebungen des Originals hier zum Teil nachempfunden sind; sie entsprechen aber insgesamt nicht dem Originallayout. Auch wird hier auf mehrspaltige Darstellung verzichtet. Zur genauen Zitierfähigkeit sind ggf. die Seitenwechsel kenntlich gemacht.

Schreibweisen wurden durchgängig dem Original gemäß übernommen - also mit Fehlern.

 

Dokumentation historischer Quellen und Dokumente:

Die Reichstagswahlen 1907

In Freiburg verteiltes Flugblatt des sozialdemokratischen Wahlkomitees zur Unterstützung des Kandidaten Ernst Kräuter. Quelle: Stadtarchiv Freiburg M31/1b, Nr. 15. 4 Seiten, Hervorhebungen im Original; Transkription: Jonas Molitor, Korrektur/Layout/Scans: Heiko Wegmann)

thumb1 thumb2 thumb3 thumb4


An die Reichstagswähler des V. badischen Reichstagswahlkreises!


Nur noch eine kurze Spanne Zeit trennt uns vom Wahltag, von dem Tag, an welchem das deutsche Volk zu entscheiden hat, wie es in den nächsten 5 Jahren regiert sein will. Der nächste Reichstag hat über sehr wichtige Gesetzesvorlagen zu entscheiden. Nicht wegen der 9 Mill. Mk. hat man den Reichstag auseinanderjagt, sondern um einen noch gefügigeren Reichstag zu erhalten. Die Regierung verlangt, daß der Reichstag alles bewilligt, was sie für Heer, Marine und Kolonialpolitik verlangt. Neue Militär- und Marineforderungen stehen bevor.Zu den annähernd 1500 Mill. Mark, welche wir alljährlich schon dafür ausgeben, sollen neue hinzukommen, trotzdem Deutschland jetzt schon 660 000 Mann unter Waffen stehen hat. Jetzt schon reicht das Geld nicht aus. Für das Jahr 1907 muß die Regierung schon wieder 230 Mill. Mk. pumpen und wenn dann noch erhöhte Ausgaben kommen, dann brauchen wir gleich wieder einige hundert Millionen neue Steuern.

Wer trägt dann die Steuern?

Wenn ein Reichstag zusammenkommt wie der letzte, dann werden die Steuern wieder dem arbeitenden Volk auferlegt.Darin sind alle einig; die konservativen Junker, Liberale und Zentrum, sie wollen keine Steuern für die besitzende Klasse. Hätte der auseinandergejagte Reichstag die Steuern noch bewilligen müssen, so hätte das kurz vor den Wahlen geschehen müssen. Dem Volk wären dann die Sünden der Volksvertreter noch frisch in Erinnerung gewesen. Man hätte auch aus Angst vor den Wahlen Rücksicht auf das Volk nehmen müssen, die man nach den Wahlen nicht zu nehmen braucht. Fünf Jahre sind eine lange Zeit und das Volk gewöhnt sich an die Lasten.Bei den Wahlen kommt dann die Regierung und erklärt, das Vaterland sei in Gefahr, das Zentrum erklärt, die Religion sei in Gefahr, mit nationalen Phrasen einerseits und dem Kulturkampfgespenst andererseits lenkt man den Blick des Volkes von dem ab, worum es sich in Wirklichkeit handelt. Bei diesen Wahlen handelt es sich darum, ob die Vermehrung von Heer und Marine weiterbetrieben werden soll, ob die neuen Lasten wiederum dem arbeitenden Volk auferlegt werden sollen, ob

die Kolonialpolitik

so weiterbetrieben werden soll, ob zu den 2000 Menschenopfern und zu den 1200 Mill. Mk., die diese Sandwüsten schon gekostet haben, noch neue Opfer an Gut und Blut gebracht werden sollen.

Am 25. Januar hat das Volk darüber zu entscheiden, ob wir in alle Zukunft jährlich Millionen über Millionen nach Afrika werfen wollen, bloß damit dort einige junkerliche Sprößlinge an den Schwarzen ihr Mütchen kühlen können und die Schiffsreedergesellschaft Wörmann 70 Prozent Dividende verteilen kann oder die Firma Tippelskirch, an welcher ein Minister beteiligt war, Riesengewinne einstecken kann. Eine Handvoll Schnapsbrenner, Militärlieferanten und Schiffsreeder hat den Nutzen, alle anderen nur Schaden von der Kolonialpolitik. Zu einer Kolonialpolitik, die in kulturellem Sinne betrieben würde und dem deutschen Volk Nutzen brächte, würde die Sozialdemokratie gerne ihre Hand bieten. Gegen eine Kolonialpolitik aber, wo grausame Beamte Neger zu Tode quälen und gewissenlose Spekulanten und Händler die Eingeborenen um Hab und Gut betrügen, so daß dieselben zum Aufstand getrieben werden, werden wir uns stets mit aller Macht stemmen. Die Aktiengesellschaften, die in Afrika den Negern das Land abstehlen, betrügen auch in Deutschland die Leute, welche ihr Geld in solchen Aktien anlegen. In diesen Gesellschaften finden wir Männer aus den verschiedensten bürgerlichen Parteien. Diese Leute sind es, welche dann im Reichstag für die Bahnbauten in Afrika stimmen, damit ihre Ländereien an Wert gewinnen.

Diese Leute haben auch Aktien von der Reederfirma Wörmann, welche 70 Prozent Dividende verteilt und dem Reich jährlich, wie jetzt nachgewiesen ist, 3 Mill. Mark zu viel abgenommen hat. Andere sind vielleicht bei Tippelskirch beteiligt. Diese Leute und ihre Parteien vertreten dann die Interessen der Aktionäre und nicht die Interessen des Volkes. Zentrum und Nationalliberale haben hunderte von Millionen Mark bewilligt für Kolonien und Kolonialkriege, während in Deutschland die kleinen Beamten seit Jahren um eine Erhöhung ihrer spärlichen Gehälter petitionieren. Jetzt versprechen sie den Beamten wieder goldene Berge und nach den Wahlen lassen sie dieselben wieder mit „Wohlwollen“ abspeisen. Die Postverwaltung wirtschaftet im Jahr 60 Mill. Mark Überschuß heraus; statt daß aber die Lage der Beamten verbessert wird, fließt das Geld nach Afrika und werden Aktiengesellschaften Riesengewinne zugeschustert. Ein Lieferant stellte den Kolonialgeheimräten Pferde zu Spazierritt und zur Jagd zur Verfügung. Ein anderer stellte ein Automobil. In andern Fällen wurde Geld - „geliehen“ -. Vom Gelde des Volkes wird alles bezahlt, vom Gelde des Volkes bereichern sich diese Leute und nennen es dann vaterländische Politik. Von Volksinteressen spricht man und die eigenen Geldsackinteressen sind gemeint.

Hiergegen gilt es, am 25. Januar durch die Abgabe eines sozialdemokratischen Stimmzettels zu protestieren.

[Wechsel auf Seite 2]

Nieder mit dieser Kolonialpolitik, die uns nur Geld kostet und Deutschland Unehre bringt. Um unsere Kolonien und unseren Handel zu schützen, müssen wir eine

starke Marine

haben, rufen wieder andere. Wegen unsern Kolonien brauchen wir keine Angst zu haben, die nimmt uns niemand! Wenn dort etwas zu holen wäre, dann hätten die Engländer diese Kolonien schon vor 50 Jahren annektiert. Unser Handel hat sich früher ohne Kriegsmarine ebensogut entwickelt als jetzt, und England, das verhältnismäßig wenig für das Landheer ausgibt, wird, wenn wir unsere Flotte verstärken, die seine ebenfalls verstärken.

Das deutsche Landheer

ist das stärkste in ganz Europa und die Sozialdemokratie wird sich ganz energisch gegen jede Heeresvermehrung wenden. Die Sozialdemokratie will nicht das Vaterland wehrlos machen... Wir verlangen aber, daß die Wehrpflicht wirklich allgemein und gleich wird. Jetzt dienen die Söhne der Reichen als Einjährige. Von den Quälereien des Kasernenlebens bleiben sie verschont.Müßten die Söhne der besseren Stände eine zweijährige Dienstzeit in der Kaserne mitmachen, dann würde sich sehr bald manches im Kasernenleben ändern. Wir wollen weiter, daß die aus dem Militarismus entstehenden Ausgaben durch direkte Steuern gedeckt werden. Jeder Einzelne soll seinem Einkommen und Vermögen entsprechend zu den Staatslasten herangezogen werden. Rußland ist der einzige Staat, der ein solch ungerechtes Steuersystem hat, wie Deutschland. Am 25. Januar hat das Volk darüber zu entscheiden, ob auch in Zukunft alle Lasten auf die untern Volksschichten gelegt werden sollen. Hinweg mit den Steuern auf Lebensmittel! muß der Schlachtruf des arbeitenden Volkes werden. Es ist unerhört, daß man den Armen zwei Drittel aller Steuern auferlegt und ihnen dadurch noch die Lebensmittel verteuert. Die gleichen Leute, die dem Arbeiter ein Sechstel von seinem Verdienst nehmen, schreien dann:

Die Sozialdemokraten wollen teilen,

sie wollen Euch von Haus und Hof vertreiben, die Religion und die Familie zerstören. Wenn das wahr wäre, dann würde unsere Partei nicht immerfort wachsen. Die Tatsache, daß unsere Stimmen von Wahl zu Wahl rapid wachsen, sollte auch unsere Gegner wenigstens lehren, daß man uns mit Lügen und Verleumdungen wohl bekämpfen, aber nicht niederhalten kann.Es sind nicht nur die Großstädte, wo sich das Volk unserer Partei zuwendet, sondern immer mehr auch die ländlichen Bezirke. In einer ganzen Anzahl ländlicher Kreise haben wir die Mehrheit und wo sich einmal das Volk uns angeschlossen hat, da bleibt es auch bei der Fahne

Ueber 3 000 000 Stimmen

welche bei der letzten Reichstagswahl für die Sozialdemokratie abgegeben wurden, sind eine gewaltige Demonstration gegen das herrschende System, ein Protest gegen die Regierungspolitik und ein Protest gegen die Politik der Mehrheitsparteien. Diese drei Millionen sind ein gewaltiger Protest derjenigen, welche die Leiden und Schäden der heutigen Gesellschaftsordnung begriffen und auch erkannt haben, daß sie von den bürgerlichen Parteien immer nur genarrt werden. Diese drei Millionen sind keine Verbrecher, keine Vaterlandsfeinde, sondern Leute, die jedem die Frucht seiner Arbeit verschaffen wollen. Die Sozialdemokraten wollen Euch nicht Euer Besitztum rauben und unter sich verteilen. Wohl aber teilen die Großgrundbesitzer und der Staat mit dem Arbeiter, indem sie ihm die Lebensmittel verteuern und ein Teil von seinem Einkommen nehmen. Es teilen die Kohlenbarone und die Industrieritter mit dem Bauer und Handwerker, indem sie immer höhere Preise für ihre Produkte verlangen.Geteilt wird immer fort, aber so, daß dort, wo viel ist, immer noch mehr hin kommt. Und je mehr sich das Kapital in wenigen Händen häuft, um so stärker wird die Ausbeutung des Volkes. Gegen die Ausbeutung des Volkes durch die Multimillionäre müssen sich Bauern, Handwerker und Arbeiter zusammenschließen

und am 25. Januar einen sozialdemokratischen Stimmzettel abgeben.

Die Sozialdemokratie will die Religion vernichten,

so lautet eine Verleumdung unserer Gegner. Die Sozialdemokraten sagen: „Religion ist Privatsache“, das heißt, jeder soll die Freiheit in religiösen Dingen haben. Die Sozialdemokraten haben jederzeit für die Aufhebung des Jesuitengesetzes und sonst gegen alle Kulturkampfgesetze gestimmt, weil wir die Freiheit für jede Geistesrichtung wollen. Trennung von Kirche und Staat ist nicht Bekämpfung der Religion, sonst wären nicht schon protestantische und katholische Geistliche dafür eingetreten. In Nordamerika hat die Trennung seit je bestanden und trotzdem bestehen dort die Konfessionen genau so, wie bei uns.

[Wechsel auf Seite 3]

Eine andere Verleumdung heißt, wir wollten die Ehe und Familie zerstören. Ja, sagen wir, sind die Sozialdemokraten schuld, daß in Stadt und Land so viele Familien sind, wo Mann und Frau von früh bis spät arbeiten müssen, so daß sie kaum Zeit finden, sich mehr um die Familie zu kümmern? Oder sind nicht die Sozialdemokraten bestrebt, Zustände herbeizuführen, welche die Frau wieder der Familie geben und auch dem Mann ermöglichen, sich mehr um die Familie zu kümmern.

Nicht die Sozialdemokratie stört das Familienleben, sondern die kapitalistische Wirtschaftsordnung.

Diejenigen, welche immer in Volksversammlungen sich als die Schützer der Religion preisen, sind oft die größten Heuchler. Ihre Lebensweise steht in vielen Fällen mit dem Christentum in krassem Widerspruch; und diejenigen, welche die Religion mißbrauchen um das Volk irrezuführen und unter dem Deckmantel der Religion ihre politischen und wirtschaftlichen Schachergeschäfte betreiben, schädigen die Religion mehr, als die Sozialdemokraten es je könnten. Genau so sieht es mit der Ehe aus. Wo finden wir die meisten Ehescheidungen und wo wird es am wenigsten genau genommen mit dem, was man sich beim Eintritt in die Ehe verspricht? Sicherlich nicht bei den Arbeitern und bei den Sozialdemokraten.

Die Sozialdemokratie will überhaupt nichts zerstören, sondern aufbauen.

Damit das Volk immer mehr zu seinem Rechte kommt, verlangen wir vor allem, daß das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht im Reich, Staat und Gemeinde (ihr liberalen Herren, auch in der Gemeinde) eingeführt wird. Des weiteren verlangen wir ein freies Vereins- und Versammlungsrecht. Sicherung und Vervollkommnung des Koalitionsrechtes auch für Landarbeiter. Gesetzliche Festlegung der Arbeitszeit. Schutzgesetze für die Heimarbeiter. Ausbau und Vereinfachung der

Versicherungsgesetzgebung

Die Zusammenlegung der verschiedenen Versicherungszweige ist dringend erforderlich, dadurch könnten viele Verwaltungsausgaben gespart werden. Die Bezüge der Invaliden müßten erhöht werden, denn von der Invalidenrente kann niemand leben, und eine Person, die zu zwei Drittel arbeitsunfähig ist, wird nirgends mehr eingestellt. Statt aber die Lage der Invaliden zu verbessern, gibt der Staatssekretär Posadowsky die Anweisung: „Nehmt es nur recht streng, bevor Ihr jemand Rente bewilligt, damit das Reich nicht so viel Zuschuß bezahlen muß“. Das Reich braucht Geld für Kanonen, Kriegsschiffe, Festungen und Kolonien und nichts ist übrig für die Arbeitsinvaliden. Für die Kriegsinvaliden schwingt man den Bettelsack. Die Versicherungsgesetzgebung muß in entsprechender Weise ausgedehnt werden, auf alle wirtschaftlich schwachen, die bei Krankheit und Invalidität Unterstützung brauchen.Den Versicherten muß mehr Einfluß auf die Verwaltung eingeräumt werden. Wir verlangen eine Reform der

Rechtspflege.

Der Grundsatz: gleiches Recht für alle, soll zur Wahrheit werden. Heute kann mancher sein Recht nicht finden, weil ihm dazu das nötige Geld fehlt. Auf Grund unserer Strafgesetze werden Urteile gefällt, welche dem Rechtsempfinden des Volkes in das Gesicht schlagen. Es ist vorgekommen, daß eine Frau die, wie selbst das Gericht anerkannte, in der bittersten Not, für 30 Pf. Brennholz stahl, wegen Einbruchdiebstahls zu 4 Monaten Gefängnis verurteilt wurde, während Bankdirektoren, die ihre Nebenmenschen um Millionen betrügen, mit zwei oder drei Jahren Gefängnis davonkommen. Arbeiter, die einem Streikbrecher einmal etwas zu nahe kommen, steckt man monate- oder jahrelang in das Gefängnis. Wenn aber ein besserer Ehebrecher den Mann der verführten Frau im Duell über den Haufen schießt, so kommt er auf einige Zeit auf Festung und darf noch bestimmt auf Begnadigung rechnen. Hier muß Wandel geschaffen werden; dazu ist aber erforderlich, daß ein anderer Reichstag gewählt wird, als der letzte. Wir verlangen die Einführung der progressiven Reichs-Einkommensteuer für alle Einkommen von über 5000 Mark und die progressive Vermögenssteuer für alle Vermögen von über 50 000 Mark und Ausdehnung der Erbschaftssteuer. Wer diese Steuern nicht will, der will eben, daß die Reichen dem Reich gegenüber so gut wie steuerfrei bleiben. Es gibt nur direkte Steuern, die derjenige trägt, der etwas besitzt, und indirekte, die auf die Konsumenten abgewälzt werden. Wähler! Lasst Euch nicht täuschen durch schöne Reden. Zentrum und Nationalliberale haben bis jetzt jede direkte Reichssteuer abgelehnt und sie werden es auch in Zukunft tun. Wähler! Lasst Euch nicht täuschen in diesem Wahlkampf durch die nationalen Phrasen der Liberalen. Diese Leute, ganz gleich, welchem Flügel der Liberalen sie angehören, brauchen diese Phrasen, um ihre Taten zu verdunkeln. In wirtschaftlichen wie politischen Fragen haben die Rechts- und Linksliberalen stets der Reaktion Handlangerdienste geleistet. Sie haben bei den Wahlen die ärgsten Reaktionäre unterstützt. Vor wenigen Wochen noch haben sie über das persönliche Regiment geschimpft und am 13. Dezember haben sie das Budgedrecht des Reichstages preisgegeben, sie haben sich blindlings der Kommandogewalt unterworfen.

[Wechsel auf Seite 4]

Heute schelten sie diejenigen als antinational, welche sich nicht fügten. Wähler! Wenn der Reichstag nur dazu dienen soll, alles zu bewilligen, was die Regierung will, dann brauchen wir keinen Reichstag! Lieber den offenen Absolutismus, als den verschleierten. Lieber gar keinen Reichstag, als einen solchen, der keine Bedeutung hat. Haben nicht schon liberale Blätter und Männer die Regierung zum Staatsstreich und zur Beseitigung des Wahlrechtes aufgefordert? „Freies und gleiches Wahlrecht, solange Ihr uns wählt; aber weg mit dem Wahlrecht, wenn Ihr anders wählt“, so denken viele „sogenannte Liberale“. Wer also will, daß die oben angeführten Reformen durchgeführt und die Rechte des Volkes erweitert und nicht etwa geschmälert werden, der darf nicht liberal wählen, sondern er muß für den sozialdemokratischen Kandidaten

Ernst Kräuter in Freiburg

stimmen. Er darf auch nicht für das Zentrum stimmen. In der Kolonialfrage hat das Zentrum stets eine zwiespältige Rolle gespielt. Das Zentrum hat jahrelang geschwiegen zu all den Greueln, zu all der Mißwirtschaft, die in den Kolonien verübt wurde. Das Zentrum hat geschwiegen um konfessioneller Vorteile willen. Wegen konfessioneller Vorteile allein hat es sich an der Kolonialpolitik beteiligt; trotzdem in allen Zentrumsschriften steht, daß in den Kolonien nichts zu holen ist, hat das Zentrum hunderte von Millionen Mark hierfür bewilligt. Das Zentrum ließ es jahrelang geschehen, daß die Sozialdemokraten, welche immer auf die Greuel und Mißstände in den Kolonien hinwiesen, als Vaterlandverleumder bezeichnet wurden, trotzdem die Herren wußten, daß die Anklagen wahr sind. Wenn das Zentrum zuguterletzt der Regierung 9 Mill. Mark verweigert hat, so ist das nicht allzu ernst zu nehmen. Der Zentrumsführer Spahn ließ deutlich durchblicken, daß man der Regierung die Summe später bewilligen werde. Nach der einen Seite sagen die Zentrümler, wir haben der Regierung keinen Mann und keinen Groschen verweigert und in den Versammlungen wird damit geprahlt, daß man der Regierung nicht alles bewilligt habe und dabei steht doch das Wort „Wahrheit“ auf dem Banner des Zentrums. In Steuerfragen ist das Zentrum immer einig gegangen mit den Liberalen. Was soll man davon halten, wenn das Zentrum sich als Schirmherr für das Wahlrecht aufwirft und sich überall mit den Konservativen, mit den geschworenen Wahlrechtsfeinden verbündet. Das Zentrum ist fest entschlossen, den Konservativen, den ärgsten Volksfeinden, denjenigen, die den meisten Anteil an den Kolonialgreueln haben, den heftigsten Vorkämpfern für Lebensmittelsteuern, den preußisch-deutschen Junkern, soviel Mandate wie möglich zuzuschachern. Wäre es dem Zentrum ernst mit der Wahrung der Volksrechte, mit der steuerlichen Entlastung des Volkes, mit der Reform der Kolonialpolitik, dann könnte und dürfte es nicht so handeln. Wer darum Erweiterung der Volksrechte, eine gerechte Verteilung der Staatslasten und die Reinigung des Kolonialsumpfes will, der wähle am 25. Januar sozialdemokratisch. Wer für eine gesunde, wirtschaftliche Entwicklung, für den Kulturfortschritt, für Freiheit auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens ist, der muß sozialdemokratisch wählen.

Ihr Männer des arbeitenden Volkes in Stadt und Land, ob Kleinbauer, ob Handwerker, ob Beamter oder Arbeiter, für Euch ist die sozialdemokratische Partei stets eingetreten; darum wählt am 25. Januar den Kandidaten der sozialdemokratischen Partei

Landtagsabgeordneter Ernst Kräuter in Freiburg.

Wahltag ist Zahltag! Versäume keiner seine Pflicht!
Das sozialdemokratische Wahlkomitee

NB. Alle auf die Wahl bezüglichen Wünsche, betr. Versammlungen, Flugblätter und Stimmzettel bitten wir zu richten an Wilhelm Engler, Rheinstraße 64, Hinterhaus, in Freiburg.
Herausgegeben vom sozialdemokratischen Wahlkomitee: Emil Eichhorn


Rotationsdruck H. M. Poppen & Sohn , Freiburg i.B.

Übersicht zu den Reichstagswahlen 1907

Flugblätter/Flugschriften

  • Mitbürger! [Freiburger Flugblatt des Wahlausschusses der liberalen Parteien] Zum Dokument
  • Wähler des V. Bad. Reichstagswahlkreises! [Flugblatt des Wahlausschuss der vereinigten liberalen Parteien von Freiburg, Emmendingen und Waldkirch] Zum Dokument
  • Kolonialpolitik und Reichstagsauflösung. Vortrag des Herrn Abgeordneten Fehrenbach, gehalten am Freitag, den 28. Dezember, in der städtischen Kunst- und Festhalle zu Freiburg im Breisgau Zum Dokument (pdf, 17 Seiten)
  • Erwiderung des Herrn Abg. Rechtsanwaltes C. Fehrenbach auf die Angriffe des Herrn Prof. Dr. Fabricius in der liberalen Wählerversammlung am 29. Dezember 1906. [Flugschrift der Zentrumspartei] Zum Dokument
  • Wahlbetrachtungen [Flugblatt der Vereinigten Liberalen]
  • Wahre und falsche Kolonialpolitik. Rede gehalten in der Wahlversammlung der vereinigten Liberalen am 23. Januar 1907 von Professor Dr. Ernst Fabricius [Freiburger Flugblatt des Wahlausschusses der liberalen Parteien] Zum Dokument
  • Deutschland am Scheideweg. Zwei Gewissensfragen für jeden Reichstagswähler! [Flugblatt der Vereinigten Liberalen] Zum Dokument
  • An die Reichstagswähler des V. badischen Reichstagswahlkreises! [Flugblatt herausgegeben vom sozialdemokratischen Wahlkomitee / Emil Eichhorn]
  • Arbeiter, Kolonien und Flotte. [prokoloniales Flugblatt von Dr. Gerhard/Berlin gegen Sozialdemokratie und Zentrum] Zum Dokument
  • Lügen des Herrn Erzberger. Zur Aufklärung der deutschen Wähler! [Flugschrift Verlag Paul Köhler/Berlin, verbreitet vom liberalen Wahlausschuss zur Unterstützung des Kandidaten Rudolf Obkircher]
  • Mitbürger! Wähler des V. Wahlkreises! [Flugblatt des Wahlkomitees der Zentrumspartei im V. badischen Reichstagswhlkreis]
  • Wähler des 5. badischen Wahlkreises! Auf zur Stichwahl! [Flugblatt des Wahlkomitees der Zentrumspartei zur Unterstützung von Karl Hauser]

Zeitungen

  • Reichstagsrede des neuen Kolonialdirektors Dernburg, Freiburger Zeitung, 01.12.1906, Artikel
  • Reichstagsdebatte: Erzberger (Zentrum) attackiert Reichskanzler Bülow und lobt Dernburg, Freiburger Zeitung, 02.12.1906, Artikel
  • Reichstagsdebatte: Bebel (Sozialdemokraten) kritisiert Kriegführung in Südwestafrika als barbarisch, Freiburger Zeitung, 04.12.1906, Artikel
  • Reichstagsdebatte: Streit zwischen Roeren (Zentrum) und Kolonialdirektor Dernburg über Kolonialskandale, Freiburger Zeitung, 05.12.1906, Artikel
  • Reichstagsdebatte: Einschätzung zum Angriff von Kolonialdirektor Dernburg auf den Ag. Roeren (Zentrum), Freiburger Zeitung, 06.12.1906, Artikel
  • Kolonialdebatte im Reichstag: Klage gegen Roeren?; Bezirksamtsmann von Togo pocht auf Unschuld; Pressestimmen, Freiburger Zeitung, 07.12.1906, Artikel
  • Internationale Flottenpolitik, Freiburger Zeitung, 08.12.1906, Artikel
  • Kolonialdebatte: Roeren fühlt sich missverstanden; Budgetkommission berät über Nachtragsetat, Freiburger Zeitung, 09.12.1906, Artikel
  • Kolonialdebatte: Kritik am Zentrum; Dernburg erholt sich in St. Moritz von "Arbeitslast"; Landesversammlung der nationalliberalen Parteien Badens, Freiburger Zeitung, 11.12.1906, Artikel
  • Zur Roeren-Kritik in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung und der Kölnischen Volkszeitung; Kolonialforderung auf dem Parteitag der Nationalliberalen in Baden, Freiburger Zeitung, 12.12.1906, Artikel
  • Budgetkommission des Reichstags lehnt Nachtragsetat für Südwestafrika ab; Bülow verhandelt mit Abgeordneten, Freiburger Zeitung, 13.12.1906, Artikel
  • Weitere Debatte im Reichstag um den Etat 1907 für Südwestafrika; Berichte von Prof. Hahn und Farmer Schlettwein vor der Budget-Kommission; Angriffe auf den Abgeordneten Roeren, Freiburger Zeitung, 14.12.1906, Artikel
  • Reichstag aufgelöst wegen Verweigerung des Kolonialkriegs-Nachtragsetats, verschiedene Pressestimmen und Reichstagsberichte, Freiburger Zeitung, 15.12.1906, Artikel
  • Rücksendung von Truppen aus DSW, Freiburger Zeitung, 05.01.1907. Artikel
  • Ex-Gouverneur Leutwein zur Reichstagsdebatte um Truppenstärke in DSW, Freiburger Zeitung, 07.01.1907. Artikel
  • Debatte um Kosten des Kolonialismus, Freiburger Zeitung, 08.01.1907. Artikel
  • Bericht von einer Veranstaltung des kolonialpolitischen Aktionskomitees in Berlin (insb. Referat Dernburg), Freiburger Zeitung, 09.01.1907. Artikel
  • Weitere Debatte um die Kosten des Kolonialismus, Freiburger Zeitung, 09.01.1907. Artikel
  • Zur "Niederwerfung der Bondels" und andere Meldungen, Freiburger Zeitung, 10.01.1907. Artikel
  • "Über den Wert der Kolonien" (Südwestafrika), Missionsfeier in Freiburg, Kosten der Kolonien, Freiburger Zeitung, 11.01.1907. Artikel
  • SPD in Freiburg zu Reichstagswahl und Kolonialfrage; Pater Acker zu Ostafrika: "Gott will, dass wir kolonisieren", Freiburger Zeitung, 11.01.1907. Artikel
  • Kolonialdirektor Dernburg über eigenen Kolonialbesitz und Handelspolitik, Freiburger Zeitung, 12.01.1907. Artikel
  • "Unruhen in Kamerun" und Debatte im Reichstag zum Kolonialetat und der Einrichtung eines Reichskolonialamtes, Freiburger Zeitung, 04.05.1907. Artikel

Hintergrundtext zum Thema:

  • Heyden, Ulrich van der (2007): Kolonialkrieg und deutsche Innenpolitik - Die Reichstagswahlen von 1907 Zum Text

Zum Seitenanfang

Seite 1

Seite 2

Seite 3

Seite 4

Zum Seitenanfang