logo

Hinweis zur Transkription:

Die Flublätter werden so dargestellt, dass Gestaltungsformen und Hervorhebungen des Originals hier zum Teil nachempfunden sind; sie entsprechen aber insgesamt nicht dem Originallayout. Auch wird hier auf mehrspaltige Darstellung verzichtet. Zur genauen Zitierfähigkeit sind ggf. die Seitenwechsel kenntlich gemacht.

Schreibweisen wurden durchgängig dem Original gemäß übernommen - also mit Fehlern.

 

Dokumentation historischer Quellen und Dokumente:

Die Reichstagswahlen 1907

In Freiburg verteiltes Flugblatt der Vereinigten Liberalen [unterzeichnet mit: "Druck und Verlag von Partria, G.m.b.H., Berlin"] Quelle: Stadtarchiv Freiburg M31/1b, Nr. 13 (2 Seiten A 3, Hervorhebungen im Original; Transkription: Jonas Molitor, Korrektur/Layout: Heiko Wegmann)


Wahlbetrachtungen

------------------------------------

1. Warum wurde der Reichstag aufgelöst?

Zentrum, Polen und Sozialdemokratie standen gegen die Regierung in einer Sache, wo es sich um die nationale Ehre des deutschen Reichs handelte.

Wie das kommen konnte, sieht man klar und deutlich aus dem Verlauf der letzten Sitzung des Reichstags.

Die Regierung forderte die für unsere Truppen in Südwestafrika bis 1. April noch notwendigen Summen.

Das Zentrum wollte die geforderte Summe gekürzt sehen, wollte die Regierung verpflichten, die Besatzung zu bestimmten Terminen zu verringern. Der Reichskanzler erklärte den Vorschlag des Zentrums für unannehmbar.

Wenn wir die Truppen verringern, sagte er unter lebhaftem Beifall von rechts und links, würden wir, das sagen alle Kenner der Verhältnisse, binnen kurzer Frist neue Aufstände in allen Teilen unseres Schutzgebietes zu gewärtigen haben, deren Bewältigung uns die doppelten und dreifachen Opfer kosten würde, wie wir sie bisher gebracht haben. Solche Aufstände in unserem südwestafrikanischen Schutzgebiete würden naturgemäß auf unsere anderen Kolonien überspringen, wir würden eine allgemeine Auflehnung gegen die weiße Herrschaft erleben. Die geringe Anzahl unserer Schutztruppen würde einer solchen Bewegung nicht gewachsen sein, wir ständen dann vor der Frage, ob wir unsere Kolonien mit unverhältnismäßigen Opfern und Kosten wiedererobern oder für immer verlieren wollen. Nicht nur die militärischen Autoritäten, sondern alle Sachverständigen stimmen darin überein, daß es sich um eine letzte Anstrengung handelt, um unseren Kolonien dauernd Ruhe und Sicherheit wiederzugeben. Wenn wir vor diesen letzten Opfern zurückscheuten, so würden wir uns nach meiner Ansicht einer schweren Unterlassung, einer nationalen Versündigung schuldig machen.

Dagegen erklärten die Sozialdemokraten, sie wollten den Krieg dadurch beendigen, daß sie die von der Regierung geforderten Mittel zu seiner Beendigung rundweg ablehnen. Die Sozialdemokraten wollen, daß wir die Kolonien, die mit teurem deutschen Blut erkauft sind, aufgeben und anderen Nationen überlassen! Der Redner der Zentrumspartei meinte, man solle jetzt die Truppen zurückziehen; wenn der Aufstand dann neu auflodere, so übernehme der Reichstag die Verantwortung und werde dann neue Mittel bewilligen.

Dagegen bewiesen die Redner der Konservativen und der Liberalen, man könne gar nichts anderes tun. als was die Regierung verlange, müsse es bewilligen, Der freisinnige Abg. Schrader sagte: „Das Geld sei verbraucht, man müsse es bewilligen. Führt man Krieg, so müsse man bewilligen, was im Augenblicke nötig ist; beim Reichskriegsrat darf nicht erst angefragt werden“.

Andere sagten, wenn alle Leute aus der Kolonie, alle militärischen Autoritäten sagen, 8000 Mann seien notwendig, dann könne doch nicht der Reichstag von Berlin aus sagen: das ist nicht wahr! 2500 Mann reichen auch aus. Wenn das Zentrum den Aufstand wieder aufflackern lassen will und dann bereit ist neue Mittel zu bewilligen, dann hieße das den Brunnen zudecken, wenn das Kind hineingefallen ist. Trägt das Zentrum die Verantwortung, wenn dann wieder 17 000 Mann und noch viel mehr Millionen nötig sind?

Auf der Rechten wie auf der bürgerlichen Linken herrschte der Eindruck, daß es dem Zentrum nicht um einen praktisch durchführbaren Vorschlag zu tun war, sondern um die Gelegenheit, der Regierung gegenüber seine Macht zu zeigen.

Vor der Abstimmung nahm der Reichskanzler Fürst von Bülow abermals das Wort:

Reichskanzler Fürst von Bülow: Meine Herren, ich halte mich für verpflichtet, Sie nochmals in letzter Stunde auf die schwere Verantwortung hinzuweisen, welche Sie durch Ihre bevorstehenden Beschlüsse auf sich nehmen. Es handelt sich hier nicht um die Frage, ob für unsere Kolonien einige Millionen mehr oder weniger bewilligt werden sollen. Es handelt sich, wie Ihnen der Herr Vertreter des Generalstabs soeben überzeugend dargelegt hat, um die Frage, ob wir unsere Kolonien behaupten wollen oder nicht. Es handelt sich, wie ich als verantwortlicher Leiter der Reichsgeschäfte hinzufüge, um die Frage, ob wir unser Ansehen in der Welt, ob wir unsere Waffenehre (lebhafter Widerspruch bei den Sozialdemokraten – lebhaftes Bravo! rechts) – ich wiederhole gegenüber Ihrem Widerspruch: Es handelt sich, wie ich als verantwortlicher Leiter der Reichsgeschäfte hinzufüge, um die Frage, ob wir unsere Waffenehre, ob wir unsere Stellung in der Welt, ob wir unser Ansehen gefährden wollen, um eine verhältnismäßig geringfügige Summe zu ersparen am Ende eines Feldzuges, der uns Hunderte von Millionen gekostet hat. (Bravo! rechts – Widerspruch bei den Sozialdemokraten) Wollen wir in einer Stunde des Kleinmuts die Früchte jahrelanger, tapferer Anstrengungen gefährden? (Unruhe bei den Sozialdemokraten.) Sollen die Opfer, die schweren Opfer an Gut und Blut, die wir für unsere Kolonien gebracht haben, den Kolonien und dem Vaterland zum Segen gereichen, oder sollen sie umsonst gebracht sein?...

Eine Regierung kann sich nicht von Parteien und Parlament vorschreiben lassen, wie viele Truppen sie für kriegerische Operationen braucht. (Widerspruch links. - Sehr richtig! Rechts) Wohin meine Herren soll es führen, wenn sich bei uns die Gewohnheit einbürgerte, militärische Maßnahmen im Kriegszustande, deren richtige Durchführung entscheidend ist für die Gesundheit unserer Truppen, für unsere Waffenehre, unter Umständen für Wohl und Wehe und Zukunft des ganzen Landes, von Fraktionsbeschlüssen und Parteirücksichten abhängig zu machen. (Lebhaftes Bravo! rechts.)

Meine Herren, da draußen stehen unsere Soldaten, das sind Deutsche, die haben gekämpft, die haben Anstrengungen erduldet, die sind im Begriff, den letzten Widerstand, die letzten Reste des Gegners niederzuringen: sollen sie jetzt etwa zurück, weil die Regierung aus Kleinmut, weil eine kleinmütige Regierung aus Scheu vor parlamentarischen, oder Parteirücksichten ihren Heldenmut vor dem Feinde im Stich läßt? (Lebhaftes Bravo! rechts.)

Meine Herren, was haben andere Völker für Kolonialkriege geführt, Engländer, Franzosen, Holländer, und haben nicht mit der Wimper gezuckt! Soll sich das deutsche Volk kleiner zeigen, soll das deutsche Volk kleiner dastehen, als andere Völker? Das ist die Frage, auf welche die Verbündeten Regierungen eine Antwort wünschen, eine Antwort fordern klipp und klar! (Sehr wahr! rechts und bei den Nationalliberalen.)

Wir können bedauern, meine Herren, daß der Aufstand ausgebrochen ist, daß er uns so viel Menschenleben, daß er uns so große Summen gekostet hat. Wir können das bedauern, aber zurück können wir nicht! Wir müssen durchhalten!

Meine Herren, man hat mir das Wort in den Mund gelegt: nur keine innere Krise! Ich habe das alberne Wort dementieren lassen. Es kehrt immer wieder zurück. In Wirklichkeit habe ich natürlich nie etwas derartiges gesagt (Hört! hört! rechts.) Es gibt Situationen, wo ein Zurückschrecken vor Krisen ein Mangel an Mut, ein Mangel an Pflichtgefühl wäre. (Lebhaftes Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen.) Wenn Sie wollen, haben Sie die Krisis! (Bravo! rechts) Parteien können Forderungen annehmen oder ablehnen; denn sie tragen keine Verantwortung. (Oho!) - Sie tragen keine Verantwortung! Die Regierung darf sich nicht vor Wünschen und Interessen einzelner Parteien beugen, wenn ihre höchste Aufgabe, die nationale, in Frage steht. (Bravo! rechts.)

Man hat mir ferner vor einigen Minuten das Gerücht zugetragen, in dieser Frage schöbe ich nicht, sondern ich würde geschoben, ich gäbe nur Direktiven der obersten Stelle nach, der südwestafrikanische Guerillakrieg sei eine Art militärischer Sport. Meine Herren, das ist eine dreiste Unwahrheit. Niemand drängt mich, niemand schiebt mich. Ich brauche gar keine Direktive, um zu erkennen, daß hier nationale Notwendigkeiten vorliegen (lebhafter Beifall rechts), um danach, lediglich danach zu verfahren.

Es handelt sich nicht im entferntesten um eine Frage des inneren Regiments, es handelt sich nicht um Gegensätze des parlamentarischen und des persönlichen Willens. Es handelt sich um die vom Reichskanzler nach gewissenhafter Prüfung vertretene Ueberzeugung der Verbündeten Regierungen. Es handelt sich um unsere ganze kolonialpolitische Stellung (Sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen), um mehr als das, um unsere Stellung in der Welt. (Widerspruch bei den Sozialdemokraten.) Glauben Sie, meine Herren, daß sowas keine Rückwirkung auf das Ausland hat? (Sehr richtig! rechts) Was würde es denn für einen Eindruck machen, im Innern und nach außen, wenn die Regierung in einer solchen Lage, in einer solchen Frage kapitulieren und nicht die Kraft in sich finden sollte, ihre nationale Pflicht zu erfüllen. (Lebhafter Beifall rechts und links.) Wir werden unsere Pflicht tun – im Vertrauen auf das deutsche Volk! (Stürmisch anhaltender Beifall – Zischen bei den Sozialdemokraten.)

Bei der Abstimmung wurde der entscheidende Antrag mit 176 gegen 171 Stimmen abgelehnt.

Dagegen stimmten die Polen, Welfen, das Zentrum und die Sozialdemokratie, dafür alle anderen national denkenden Parteien, konservative, liberale, freisinnige.

2. Zur Wahlbewegung

England und die deutschen Wahlen.

Wer politischen Sinn hat, kann aus den Aeußerungen der englischen Presse zu Bülows Wahlkundgebung manche interessante Lehre ziehen. Die Times zum Beispiel nehmen das Manifest zum Anlaß, der freudigen Hoffnung Ausdruck zu geben, daß die Regierung in den Wahlen eine Lektion erhalten werde; die Daily News suchen die innerhalb der nationalen Parteien herrschenden Gegensätze hervorzuheben oder gar zu erweitern, indem sie sagen, die Liberalen sollen sich hüten, die Kastanien für Bülow aus dem Feuer zu holen. Es sei doch ein starkes Stück, von den Liberalen zu verlangen, die Alliierten der Großgrundbesitzer zu werden. Die Tribune wünscht von dem Manifest wenigstens den einen „heilsamen Erfolg“, daß es jedem Radikalen von Prinzip unmöglich mache, Fraktionsvorteile zu verfolgen, die einige ihrer Führer von einer Unterstützung des Fürsten Bülow erhofften.

In diesen Auslassungen offenbart sich eine gewisse Interessensgemeinschaft der antideutschen Engländer und der schwarz-roten Parteien. Es gibt wahrscheinlich in England eine Reihe von Menschen, welche einen klerikal-sozialistischen Sieg wünschen, weil sie glauben, daß ein solcher dem Aufsteigen der deutschen Macht Einhalt gebieten würde.

Es gehört zu den großen politischen Eigenschaften der Engländer, bei jedem Vorgang im Auslande gleich diejenige Partei zu ergreifen, die ihnen selber nützt – sie haben jenen sicheren Instinkt für das Interesse der eigenen Nation, der einzelnen deutschen Blättern abgeht.

Was die Daily News und ihre Gesinnungsgenossen wünschen, ist klar: ein Deutschland, das in der Studierstube, im Hörsaal und im Laboratorium, mit Palette, Meißel und Feder, in Wissenschaft, Kunst, Dichtung sein Genügen findet. Ein Volk der Dichter und Denker, das auf Macht und Reichtum verzichtet. Ein Reich, das ohne Flotte und Heer, ohne Kolonien und Bundesgenossen still und bescheiden seinen Kohl baut. Eine Regierung, die faul und friedlich dahinlebt, beherrscht von den Massen. Ein Volk, dessen Schiffe, Handel und Industrie sich vom Weltmarkt zurückziehen, damit England ohne lästige Konkurrenz sich ungestört mästen kann an den Reichtümern der Erde. Das sind die wahren Motive und Ziele, die sich hinter dem Gerede gegen Cäsarismus und Byzantinismus, Bajonett-Regiment und Willkürherrschaft verbergen.

All dies erhoffen und ersehnen die englischen Radikalen von einem Wahlsiege der Sozialdemokraten und Ultramontanen. Freilich, das möchte ihnen passen, daß wir unsere Flotte versenken, unsere Kolonien wegwerfen, unsere Arbeit nur im Reich der Träume suchen! Aber daß man diese Wünsche so offen und brutal, in so beschimpfendem und anmaßendem Tone ausspricht, das sollte jedem deutschen Manne in der Seele brennen und ihm am Wahltage den Stimmzettel gegen Sozialdemokraten und Ultramontane, diese Hoffnung Englands auf Deutschlands Demütigung und Abdankung, in die Hand drücken.

Der Kaiser und die deutschen Arbeiter

Bei einer Wahlversammlung am 18. v. Mts. ist folgender Satz gesprochen worden: „Gefühl für nationale Würde, nationale Ehre verlangt man nun vom deutschen Arbeiter, den man so lange als vaterlandslosen Gesellen bezeichnet hat!“ Sollten nicht viele von den Versammelten empfunden haben, daß ihnen hiermit eine zynische Unwahrheit ins Gesicht geworfen wurde? Niemand hat den deutschen Arbeiter als vaterlandslosen Gesellen bezeichnet, am allerwenigsten der Kaiser, auf den der Satz natürlich gemünzt war. Gerade der Kaiser hat immer daran festgehalten, daß die Gesinnung einer bestimmten Klasse von Agitatoren nicht die Gesinnung der deutschen Arbeiter ist. Wie könnte es auch anders sein, da doch zahlreiche Söhne deutscher Arbeiter gegenwärtig für die Ehre des Reichs in Südwestafrika kämpfen, wie ihre Väter vor Metz, Sedan und Paris gefochten haben!

Der Wahlaufruf des Zentrums

enthält zahlreiche irreführende Behauptungen. Gleich im Anfang wird es so dargestellt, als hätte sich die Entscheidung im Reichstage nur um 8 900 000 Mark gedreht. Damit wird die Tatsache verschleiert, daß das Zentrum für die Ablehnung des ganzen Nachtrags von 29 220 000 Mark verantwortlich ist. Die Fraktion wusste, daß der von ihr gewünschte Abstrich für die Regierung unannehmbar war, und sie brachte in voller Kenntnis dieses Umstandes die Vorlage der Regierung zu Fall.

Sodann wird von einem Antrag des Zentrums gesprochen, der dahin zielen sollte, die „überaus kostspielige, einen Aufwand von 10 000 Mark pro Kopf jährlich erfordernde Schutztruppe von allen Aufgaben polizeilicher und kultureller Art zu entlasten und demgemäß ihre Zahl und Kosten dauernd zu vermindern“. Dieser Antrag sei von der Kolonialverwaltung keiner Prüfung gewürdigt worden. Eines derartigen Zentrumsantrages erinnern wir uns nicht. Den Reichstag hat er jedenfalls nicht beschäftigt. Sollte der Aufruf etwa den Antrag auf Verminderung der Schutztruppe auf 2500 Mann meinen, so wäre die Behauptung falsch, daß er keiner Prüfung gewürdigt worden sei. Um diesen Antrag drehte sich ja ein großer Teil der Diskussion im Plenum und in der Kommission.

Wenn übrigens jeder Schutztruppenmann dem Reiche 10 000 Mark kostet, so trägt das Zentrum die Mitschuld daran, durch die Ablehnung der Bahn nach Keetmanshoop. Wäre die Bahn im vorigen Sommer bewilligt worden und der Bau vollendet, so hätten die Kosten sich auf 5540 Mark pro Kopf erniedrigt.

Der Aufruf bezeichnet weiter die Auflösung des Reichstags als „einen Angriff auf dessen Stellung als selbständigen, in eigener Verantwortung handelnden gleichberechtigten Faktor der Gesetzgebung“. Davon ist keine Rede. Die Auflösung ist die konstitutionelle Ausübung eines in der Reichsverfassung festgelegten Rechts der Verbündeten Regierungen. Der Beschluß des Bundesrats über die Auflösung ist einstimmig gefaßt worden.

Das Budgetrecht des Reichstags wird, entgegen der Behauptungen des Aufrufs, in keiner Weise durch die Auflösung berührt. Es spielt in der ganzen Frage, die jetzt zur Entscheidung des Volkes steht, gar keine Rolle. Der Zentrumsaufruf bekundet durch seine falsche Auslegung der Auflösung eine unerwartete Mißachtung der Wähler, die bei einer Meinungsverschiedenheit zwischen Regierung und Reichstag anzurufen ein im höchsten Sinne kostitutioneller Akt ist.

Zum Schluß erklärt das Zentrum seinen Willen, das verfassungsmäßige Wahlrecht hochzuhalten. Das Zentrum hat in dieser Willensmeinung nichts vor anderen Parteien voraus und auch nichts vor der Reichsregierung, die sich in der Wahrung der verfassungsmäßigen Rechte des Volkes von niemand übertreffen läßt.

Den hat Gott gerichtet!“

rief der Abg. Roeren aus, als er den Tod des von ihm zu Unrecht verfolgten Assessors Tietz in Togo erfuhr. Sein hartherziges Wort ist energisch zurückgewiesen worden. Im Reichstag nahm der Kolonialdirektor Dernburg noch am Tage der Auflösung das Andenken des Assessors Tietz in Schutz, indem er erklärte, daß er ein „außerordentlich tüchtiger, braver und wackerer Beamter war, der im Dienste seines Vaterlandes und seines Kaisers in Togo gestorben ist.“ Die Mutter des Verstorbenen hat darauf dem Kanzler einen Dankbrief übersandt, in dem sie schreibt:

„Ew. Durchlaucht gestatten, daß ich es wage, meinen innigsten Dank auszusprechen für die Veranlassung zur Verteidigung meines verstorben Sohnes. Schwer habe ich gelitten und leide noch unter der Anklage meines inniggeliebten Aeltesten. Ich habe meine drei Söhne unter Sorgen und Mühen erzogen, noch einen Dr. med. und einen Dr. phil., aber christlich, patriotisch, sittlich erzogen – und nicht einer hat mir in diesen Fällen Kummer gemacht, trotzdem ich Witwe bald seit elf Jahren bin und mein lieber Mann lange Zeit kränklich war. Um so mehr trifft mich die Anklage. - Ich kann nicht glauben, daß mein Sohn die Greueltaten gutgeheißen hat, denn wenn ich brieflich ermahnte: „Sei gut gegen die Eingeborenen“, so schrieb er mir zuversichtlich: „Sei ohne Sorge, mit denen stehe ich gut.“ - Auch wurde mir vom Herrn Gouverneur Grafen Zech und von einem Augenzeugen seines Begräbnisses berichtet, daß die Häuptlinge und höchsten Eingeborenen seinem Sarge außergewöhnlich gefolgt sind. Jeder der meinen guten braven Sohn gekannt hat, hält ihn nicht solcher Beschuldigungen fähig.Viel, sehr viel wird mein armer Sohn bei den streitigen Verhältnissen dort gelitten haben, die auch sicher seine sonst so kräftige Gesundheit zerüttet haben. Nicht gerichtet, sondern erlöst hat ihn Gott!“


Die Sozialdemokratie.

Die Sozialdemokratie hat, mit dem Zentrum zu einem schwarz-roten Kartell vereint, gegen die Bewilligung der Mittel für unsere Soldaten im Felde gestimmt. Die Sozialdemokratie lehnt überhaupt jede nationale

[Wechsel auf Seite 2]

Forderung ab. Ein nationaler Wähler kann daher niemals einem Sozialdemokraten seine Stimme geben. Fürst Bülow hat in einer seiner früheren Reichstagsreden die Sozialdemokratie treffend charakterisiert, der Kanzler sagte:

Die positiven Leistungen der Sozialdemokratie.

„Der Herr Abgeordnete Bebel hat wieder gesprochen von den positiven Leistungen der Sozialdemokratie. Wo sind diese positiven Leistungen? Ich sehe nur eine fortgesetzte wüste Kritik, ich sehe einen ununterbrochenen Appell an die niedrigsten Instinkte, an die schlechtesten Leidenschaften. (Sehr richtig!) Ich sehe einen blinden Fanatismus, einen engherzigen Dogmatismus, ich sehe das vollständige Fehlen aller derjenigen Eigenschaften, die man immer mit so großem Recht als gute deutsche Eigenschaften bezeichnet hat: die Innerlichkeit, das Zartgefühl, die Ehrerbietung – jawohl, die Ehrerbietung, von der Goethe gesagt hat: ,mein Gemüt neigt zur Ehrerbietung´ - ich sehe eine Geistlose, humorlose, die Gemüter ausdörrende Agitation (lebhafte Zustimmung), die wie ein trockener Samum, wie ein entnervender Schirokko über die deutschen Lande hinweggeht.“ (Lebhafte Zustimmung!)

Zweierlei Maß

Sozialdemokraten und Zentrumsleute wetteifern in Flugschriften und Wahlreden darin, gegen die kolonialfreundlichen Parteien durch Erzeugung von Gänsehaut Stimmung zu machen. Nach wie vor wird der alte Klatsch über die Grausamkeiten unserer Beamten breitgetreten, mögen diese Geschichten noch so alt oder noch so unwahr sein. Da auch die Zentrumsbroschüre über die Tätigkeit der Zentrumsfraktion die von Herrn Roeren im Reichstag vorgebrachten Schauergeschichten wiederholt, so erinnern wir an folgendes:

Eine große Reihe Roerenschen Anschuldigungen ist absolut unbewiesen. Seine sämtlichen Behauptungen wegen des Herrn Kersting haben sich als unwahr herausgestellt. Seine Anschuldigungen gegen Herrn Schmidt hat Herr Roeren trotz wiederholter Aufforderung in der Öffentlichkeit, wo er durch seine Immunität nicht gedeckt wäre, nicht wiederholt und somit Herrn Schmidt nicht die Möglichkeit gegeben, sich zu rehabilitieren.

Was die Prügelstrafe betrifft, so hat der Kolonialdirektor mehrmals erklärt, daß die Schwarzen so behandelt werden müssen, wie es der Würde der deutschen Nation und unserem Gerechtigkeitsgefühl entspräche. Ohne Strafen kommen wir natürlich in den Kolonien nicht aus. Das Deutsche Reich muß in den Kolonien nicht bloß Kultur verbreiten, sondern auch regieren und den Schutzbefohlenen Respekt und den deutschen Ansiedlern Sicherheit gewähren, und man kann den Eingeborenen nur solche Strafe zudiktieren, welche für sie von Wirkung ist. Hier müssen eben Politik und Menschlichkeit so weit wie möglich vereinigt werden.

Herr Roeren hat im Reichstag einen Knüppel vorgezeigt, mit dem Eingeborene geschlagen sein sollen. Mit diesem Knüppel steht es wahrscheinlich ebenso wie mit der Patrone, die der Sozialdemokrat Bernstein nach den Breslauer Krawallen im Reichstag zeigte und die sich bei näherem Zusehen als nicht abgeschossen herausstellte.

Warum erzählt man denn aber nicht von den tatsächlich erwiesenen Grausamkeiten, die von den Eigeborenen gegen die Weißen begangen worden sind? Wie sie unsere Krieger auf das Scheußlichste mißhandelten, sie bei lebendigem Leibe verstümmelten, den Halbtoten das Genick umdrehten, weißen Frauen in viehischer Weise Gewalt antaten und unschuldigen Kindern den Kopf am [???]pfosten zerschmetterten.

Warum 8000 Mann?

Schon zur Zeit des Herero-Feldzuges war man erstaunt, daß gegen die Wilden eine größere Truppenmacht aufgeboten wurde. Man wunderte sich aber fast noch mehr darüber, daß die Gefechte trotzdem mit verhältnismäßig geringen deutschen Kräften geschlagen wurden. Alte Kolonialmächte erstaunten nicht mehr über dergleichen. Wenn man trotz der südwestafrikanischen Kriegsjahre noch heute vielfach bei uns im unklaren ist, weshalb wir soviel Truppen drüben haben müssen und dennoch so wenig an den Feind bringen, so liegt es wohl zum großen Teil daran, daß man noch immer nicht die Schwierigkeiten begriffen hat, mit denen unsere Soldaten in Südwestafrika zu kämpfen haben. Nicht die in jedem Falle gegenüberstehenden Feinde sind dort unsere Hauptgegner, sondern Ausdehnung [???]samkeit des Landes, geringe Kultur, Mangel an Lebensmitteln [???]

Dennoch hört man immer wieder die Frage: „Wozu brauchen wir 8000 Mann gegen 300 !?“ und die andere: „Wenn wir mit dem Gegner fertig geworden sind, ist dann nicht sofort die Schutztruppe entbehrlich?“

Die 8000 Mann, die augenblicklich noch als unumgänglich nötig für die Kolonie verlangt werden, verteilen sich auf ein Gebiet, etwa 1 ½ mal so groß als das Deutsche Reich. Eisenbahnen sind kaum vorhanden – warum, das ist ja bekannt -, Chausseen und feste Wege gibt es nicht. Die „Pad“, d. h. tiefe sandige Wagenspuren, durchziehen das Land. 20spännige Ochsenwagen, 10spännige Eselkarren sind als Transportmittel nötig. Die Verbindungen sind also so schlecht wie möglich. Man stelle sich vor, über das ganze Deutsche Reich sei eine Besatzung von 8000 Mann verteilt, und irgendwo, beispielsweise in Schlesien, sei ein Feind eingebrochen; Was würden die kleinen Truppenteile nützen, die im Westen stehen, wenn wir nicht in der Lage sind, sie von dort wegzuziehen, weil es auch dort noch unsicher ist und überdies die Möglichkeit fehlt, sie anders als auf wochen- und und monatelangen Märschen durch unwegsame Gebiete nach den gefährdeten Punkten zu führen. So liegt es auch in Südwestafrika. Annähernd 2000 Mann stehen im Norden: an der Grenze des Ovambo-Landes, an der Ostgrenze, im Hererolande, im Bastardlande, im Gebiete bei Gibeon. Und da müssen sie stehen bleiben. Würde man sie zurückziehen, würden sofort die unruhigen Elemente unter den Eingeborenen die Oberhand bekommen. Soll man versuchen, ob es vielleicht dennoch geht? Das Leben der Farmer ist doch wohl zu kostbar, um solche Versuche zu treiben. Wir haben genug schlechte Erfahrungen

in dieser Beziehung gemacht; sie sind noch in frischer Erinnerung: 123 Ansiedler wurden im Hererolande ermordet, weil nicht genug Truppen da waren, um sie zu schützen.

Aus dem Silvesterbrief des Reichskanzlers.

In seinem Silvesterbrief sagt der Reichskanzler Fürst Bülow:

„Es ist deutsche Eigenart, deutsches Schicksal, daß wir unsere politische Stellung bis zur Stunde der Gefahr lieber nach Gefühlen und nach allgemeinen Begriffen als nach realen Interessen und nationalen Zielen nehmen. Obgleich es für Kaiser und Bundesfürsten nicht Katholoiken und Protestanten, sondern nur schlechtweg Deutsche gibt, die den gleichmäßigen Schutz der Gesetze genießen, besteht doch die stärkste Partei im Reichstage ausschließlich aus Katholiken. „Für Wahrheit und Recht“ steht im Programm des Zentrums. Ist es aber wahr, wenn es in dem Aufruf der rheinischen Zentrumspartei heißt, im Hintergrund lauere ein neuer Kulturkampf? Im paritätischen Deutschland geht es der katholischen Kirche wohler als in manchen katholischen Ländern, und kein Vertreter der Verbündeten Regierungen denkt daran, die Parität aufzuheben, die Gewissensfreiheit zu verletzen und die katholische Religion zu bedrängen. In jener Behauptung dient die Religion nur als Mittel zum Schutze politischer Fraktionsinteressen. - Obgleich es ferner keinen Staat gibt, der mehr für Gegenwart und Zukunft der Arbeiter, für ihre materiellen und geistigen Bedürfnisse getan hätte als das deutsche Reich, obgleich die deutschen Arbeiter die bestgebildeten der Welt sind, halten doch Millionen bewußt oder als Mitläufer zu einer Partei, die den Staat und die Gesellschaft von Grund aus umwälzen will.“

Von solchem Druck muß das deutsche Volk sich frei machen.

Der liberale Städter und Landmann ist daran nicht weniger beteiligt als der konservative. Mögen die Verhältnisse in den einzelnen Wahlkreisen noch so große Verschiedenheiten aufweisen, die Parteien, die am 13. Dezember auf der Seite der Regierung standen, werden von vornherein im Auge zu behalten haben, was sie damals einigte: der Kampf für Ehr' und Gut der Nation gegen Sozialdemokraten, Polen, Welfen und Zentrum. Ich stelle die Sozialdemokraten voran, weil jede Niederlage der Sozialdemokratie eine Warnung für ihren blinden Uebermut, eine Stärkung des Vertrauens in den ruhigen Fortschritt unserer inneren Entwicklung und eine Festigung unserer Stellung nach außen wäre, und weil dadurch gleichzeitig die Möglichkeit erschwert würde, daß eine bürgerliche Partei mit Hilfe der sozialdemokratischen eine dominierende Stellung gegen die anderen bürgerlichen Parteien einnimmt.

Der Reichskanzler.

Bülow.

Dernburg über Südwest.

In einem Vortrage über unsere Kolonien machte Kolonialdirektor Dernburg betreffend Deutsch-Südwestafrika u. a. Folgende interessante Mitteillungen:

Es soll bei allen diesen Gesichtspunkten nicht vergessen werden, daß die Kolonialfrage zum guten Teil eine Geldfrage ist, und es ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Nation zu prüfen. Man berechnet, daß das Deutsche Reich in 22 Jahren 700 Millionen Mark für seine Kolonien ausgegeben habe. Das macht im Durchschnitt etwa 30 Millionen Mark jährlich, wobei ganz außer acht bleiben kann, daß unter den Ausgaben sich auch viele Millionen für werbende Zwecke befinden, sich also noch bezahlt machen werden. In diesen 22 Jahren hat sich das deutsche Nationalvermögen um mindestens 30,000 Millionen vermehrt. Die Ausgaben für die Kolonien betragen also 2 v. H. von dem Zuwachs des deutschen Nationalreichtums während der Zeit der Ausgabenbestreitung.

Und weiter führt Dernburg aus:

Unsere historische Kenntnis lehrt uns aber, daß unser Schutzgebiet vor nicht langer Zeit bis zu zwei Millionen Stück Rindvieh in einem Werte von etwa 200 Millionen Mark beherbergt hat, einem Wert, der jedes vierte oder fünfte Jahr in voller Höhe wieder reproduziert. Dabei sind während dieser Jahre selbst für den weißen Ansiedler die Produktionskosten eines Stückes Rindviehs 25 bis 27 Mark, während der Verkaufspreis heute 300 Mark ist, der in normalen Zeiten wohl auf 120 bis 100 Mark zurückgehen dürfte.

Die vergleichende Geologie und Botanik aber lehrt uns, daß Boden und Futterkräuter die gleichen sind sowohl im Norden wie im Süden, wie sie in dem Betschuana-Land, bzw. der Karoo der benachbarten Kapkolonie existieren, und die Statistik zeigt uns, daß auf ähnlich großen Territorien ähnlicher Gestaltung in diesen Ländern etwa 2,800,000 Stück Rindvieh und zwischen 10 und 11 Millionen Wollschafe und Angoraziegen existieren. Der Ackerbautechniker hat die Qualität dieser Flora festgestellt, er hat aber mehr getan. Fortwährend werden neue Gewächse entdeckt in der ganzen Welt und erfolgreiche Versuche für ihre Anpflanzung in Südwestafrika gemacht, um diesen anscheinend so unertragsfähigen Boden mit hochwertige Produkte liefernden Pflanzen zu besetzen. Manches ist noch im Anfang, vieles vielleicht aussichtslos, aber viele schöne Resultate sind bereits erzielt.

Eine vor mehreren Jahren verloren gegangene Kiste getrockneter Datteln, die auf den Weg gefallen war, zeigt dem erstaunten Wanderer jetzt 3 Meter hohe Dattelbäume, die schon anfangen, Früchte zu tragen. Es werden Versuche gemacht mit einem mexikanischen Gummistrauch, der Guayoule, deren Erfolg noch dahinsteht, die aber dort in einem Klima, das durchaus ähnlich ist und in gleicher Höhe lagert, als wildes Unkraut gedeiht.Versuche werden gemacht mit dem von dem Pflanzenphysiologen Luther Burbank auf dem Wege der Selektion hergestellten stachellosen Kaktus, der nahezu überall in den Kolonien gedeihen würde. Die Tabakanpflanzungen, die jenen des Transvaal nachgebildet sind, gedeihen ganz ausgezeichnet in den Flußtälern. Mais und Bohnen, Weizen, Gerbstoffe, Baumwolle und Wein können in großen Mengen angesetzt werden, und es ist noch gar nicht zu übersehen, wie weit das führen kann, sobald die Wassererschließung entsprechend fortgeschritten ist. Die aber wird jetzt von dem Bohrtechniker systematisch in die Hand genommen, und es zeigt sich, daß an unzähligen Stellen Südwestafrikas Wasser gut und reichlich zu haben

ist, wenn man entsprechend danach gräbt, und zwar nicht einmal zu tief gräbt, aber um es zu heben, braucht man dann den Windmotor, und dieser wieder braucht, um in das Land zu gelangen, die Eisenbahn. In der Kolonie, die reichlich Eisenbahnen besitzt hat man Wasser durch Bohrungen erschlossen im Jahre 1903 11 Millionen, 1904 10,7 Millionen Liter pro Tag. Daneben ist der Geologe eifrig an der Arbeit. Kupfer wird erfolgreich gewonnen, viele andere Stellen sind bekannt und werden jetzt prospektiert. Marmor, Diamanten, Goldspuren usw. weisen darauf hin, daß auch da die Geologie noch mancherlei aufzuklären, die Chemie mancherlei festzustellen hat; es wird demnächst ein Laboratorium für diese Zwecke im Schutzgebiet errichtet werden.

Wie werden unsere Kolonien ertragfähig?

Kolonialdirektor Dernburg hebt in einem zweiten Vortrage die Wichtigkeit der Verkehrswege für die Kolonien hervor:

Daß die wirtschaftliche Erschließung unserer Kolonien in der Hauptsache lediglich eine Verkehrsfrage ist, wurde schon mehrfach gestreift. Der bisherige Export aus unseren Kolonien wird auf den Köpfen von etwa 2 Millionen Negern in vier bis fünf Tagereisen, bei wertvollen Gütern auch 40 bis 50 Tagesreisen an die Küste gebracht. Aus dem Innern des Landes können überhaupt nur wertvolle, durch Okkupation gewonnene Güter, wie Kautschuk, Elfenbein, Wachs usw., gebracht werden, und gerade im Innern des Landes befindet sich zumeist die Eingeborenenkultur, und sind die für Oelfrüchte, Baumwolle usw., geeigneten Böden zu suchen. Um das Produkt von 150 Hektar vorzüglichen Baumwollenlades im Innern Togos nach der Küste zu schaffen, sind nicht weniger als 1000 Mann vier Wochen lang beschäftigt und die Tonne Produkte aus dem Innern ist deshalb bereits im Hafen mit 400 Mark belastet. Wenn man dem gegenüberstellt das hochentwickelte Eisenbahnwesen in den Südstaaten von Nordamerika, so wird man sich nicht wundern, daß unsere großen Baumwolländereien bis jetzt noch nicht viel tragen und daß man unserem geringen Baumwollenexport von Togo mit einer Frachtermäßigung auf der Dampferlinie nach Deutschland nachhelfen mußte. Noch schlimmer liegen die Verhältnisse in Ostafrika, wo eine Tonne Last aus dem Innern nach der Küste z. Z. Eine Karawane von Trägern und 2500 Mark Frachtkosten beansprucht, während die gleiche Last von einer Eisenbahn in kurzer Zeit und mit einem Frachtaufwand von 45 Mark an die Küste gebracht werden könnte.

Da draußen stehen unsere Soldaten“

hat Fürst Bülow gesagt bei seiner letzten Rede vor der Reichstagsauflösung, das sind Deutsche, die haben gekämpft, die haben Strapazen erduldet, die sind daran, die letzten Reste des Gegners niederzuringen, sollen sie nun zurück, weil eine Regierung aus Kleinmut, weil eine kleinmütige Regierung aus Scheu vor Parteien ihren Heldenmut vor dem Feinde im Stiche läßt?

Wenn die Soldaten, die draußen in endloser Ebene oder in Bergesklüften durstend mit heldenhafter Ausdauer nach dem Feinde spähen, von dem Reichstagsbeschluß Kenntnis erhalten, was sollen sie da wohl denken von ihren Landsleuten in der Heimat, von den Mehrheitsparteien des Reichstags?

Wer sich das vorstellen will, der lese Peter Moors Fahrt nach Südwest von Gustav Frenssen, da wird erzählt:

„Eines Abends – ich war schon wochenlang im Typhuslager – hatte jemand einen Brief bekommen, ich glaube aus Swalopmund, darin stand unter anderm, daß in Deutschland jedermann von dem Krieg zwischen Rußland und Japan spräche, von uns aber spräche kein Mensch, ja, man spotte über uns und unsern Jammer als über Leute, die für eine lächerliche und verlorene Sache stritten, und man wolle nichts von uns wissen, weil wir das rasche Siegen nicht verstünden. Ich wollte den Brief erst wegwerfen; dann aber dachte ich, ich wollte ihn Heinrich Hausen zeigen. Der kam aber nicht. Doch kam am anderen Tage ein anderer alter Schutztruppler, da zeigte ich dem den Brief. Denn mir war aller Mut entfallen. Er las ihn und lachte und sagte: ,Was wundert dich das? Ist es nicht immer so gewesen? Wie viele Frauen hat der König von Siam? Was für ein Strumpfband trägt die Königin von Spanien? Welche Antwort hast du auf die Postkarte bekommen, welche du dem japanischen Feldherrn geschickt hast? Sieh! Das sind die Dinge, welche die Deutschen interessieren. Du solltest mal hören, wie die Engländer über uns lachen, über uns Redefratzen und Hänse in allen Gassen. Die Engländer fragen bei jeder Sache: ,was nutzt es England´´ Damit ging er weg.“

3. Wie wird der neue Reichstag aussehen?

Die gehoffte Einigung aller liberalen Parteien sowie eine durchgreifende Verständigung über die Wahltaktik zugunsten der Minderheitsparteien vom 13. Dezember 1906 ist nicht vollständig erreicht worden. Eine, wenn auch nur geringe, Stärkung der bürgerlichen Elemente im neuen Reichstage ist dennoch zu erwarten. Mit dieser geringen Stärkung der Minoritätsparteien wäre zwar ein moralischer Erfolg der am 13. Dezember unterlegenen Parteien wie auch der Regierung erreicht. Aber es kommt lediglich auf den praktischen Erfolg an, d. h. auf die Erreichung so vieler Mandate für die Parteien, welche die nationalen Aufgaben zu lösen bereit sind, daß Mehrheiten für nationale Forderungen von Fall zu Fall gebildet werden können.

Eine derartige Parteikonstellation ist zu erreichen, wenn die Partei der Nichtwähler für die liberalen, für die nationalliberalen oder konservativen Kandidaten eintritt.

3 Millionen Wahlberechtigte sind bei der letzten Reichstagswahl der Wahlurne ferngeblieben. Sie sind ausschlaggebend für die Zusammensetzung des neuen Reichstagen. Dem Zentrum und der Sozialdemokratie, also den beiden Parteien, deren Nationalgefühl am 13. Dezember versagte, gehören diese Wahlberechtigten nicht an, denn Zentrum und Sozialdemokratie haben stets verstanden, ihren letzten Mann an die Urne zu bringen. Sie sind also im national-bürgerlichen Lager zu suchen. Wenn sie am 25. Januar für die bürgerlichen, für ihre eigensten Parteien eintreten, werden sie der nationalen Sache zum Siege verhelfen.

---------------------

Druck und Verlag von Partria, G.m.b.H., Berlin


Zum Seitenanfang

Übersicht zu den Reichstagswahlen 1907

Flugblätter/Flugschriften

  • Mitbürger! [Freiburger Flugblatt des Wahlausschusses der liberalen Parteien] Zum Dokument
  • Wähler des V. Bad. Reichstagswahlkreises! [Flugblatt des Wahlausschuss der vereinigten liberalen Parteien von Freiburg, Emmendingen und Waldkirch] Zum Dokument
  • Kolonialpolitik und Reichstagsauflösung. Vortrag des Herrn Abgeordneten Fehrenbach, gehalten am Freitag, den 28. Dezember, in der städtischen Kunst- und Festhalle zu Freiburg im Breisgau Zum Dokument (pdf, 17 Seiten)
  • Erwiderung des Herrn Abg. Rechtsanwaltes C. Fehrenbach auf die Angriffe des Herrn Prof. Dr. Fabricius in der liberalen Wählerversammlung am 29. Dezember 1906. [Flugschrift der Zentrumspartei] Zum Dokument
  • Wahlbetrachtungen [Flugblatt der Vereinigten Liberalen]
  • Wahre und falsche Kolonialpolitik. Rede gehalten in der Wahlversammlung der vereinigten Liberalen am 23. Januar 1907 von Professor Dr. Ernst Fabricius [Freiburger Flugblatt des Wahlausschusses der liberalen Parteien] Zum Dokument
  • Deutschland am Scheideweg. Zwei Gewissensfragen für jeden Reichstagswähler! [Flugblatt der Vereinigten Liberalen] Zum Dokument
  • An die Reichstagswähler des V. badischen Reichstagswahlkreises! [Flugblatt herausgegeben vom sozialdemokratischen Wahlkomitee / Emil Eichhorn]
  • Arbeiter, Kolonien und Flotte. [prokoloniales Flugblatt von Dr. Gerhard/Berlin gegen Sozialdemokratie und Zentrum] Zum Dokument
  • Lügen des Herrn Erzberger. Zur Aufklärung der deutschen Wähler! [Flugschrift Verlag Paul Köhler/Berlin, verbreitet vom liberalen Wahlausschuss zur Unterstützung des Kandidaten Rudolf Obkircher]
  • Mitbürger! Wähler des V. Wahlkreises! [Flugblatt des Wahlkomitees der Zentrumspartei im V. badischen Reichstagswhlkreis]
  • Wähler des 5. badischen Wahlkreises! Auf zur Stichwahl! [Flugblatt des Wahlkomitees der Zentrumspartei zur Unterstützung von Karl Hauser]

Zeitungen

  • Reichstagsrede des neuen Kolonialdirektors Dernburg, Freiburger Zeitung, 01.12.1906, Artikel
  • Reichstagsdebatte: Erzberger (Zentrum) attackiert Reichskanzler Bülow und lobt Dernburg, Freiburger Zeitung, 02.12.1906, Artikel
  • Reichstagsdebatte: Bebel (Sozialdemokraten) kritisiert Kriegführung in Südwestafrika als barbarisch, Freiburger Zeitung, 04.12.1906, Artikel
  • Reichstagsdebatte: Streit zwischen Roeren (Zentrum) und Kolonialdirektor Dernburg über Kolonialskandale, Freiburger Zeitung, 05.12.1906, Artikel
  • Reichstagsdebatte: Einschätzung zum Angriff von Kolonialdirektor Dernburg auf den Ag. Roeren (Zentrum), Freiburger Zeitung, 06.12.1906, Artikel
  • Kolonialdebatte im Reichstag: Klage gegen Roeren?; Bezirksamtsmann von Togo pocht auf Unschuld; Pressestimmen, Freiburger Zeitung, 07.12.1906, Artikel
  • Internationale Flottenpolitik, Freiburger Zeitung, 08.12.1906, Artikel
  • Kolonialdebatte: Roeren fühlt sich missverstanden; Budgetkommission berät über Nachtragsetat, Freiburger Zeitung, 09.12.1906, Artikel
  • Kolonialdebatte: Kritik am Zentrum; Dernburg erholt sich in St. Moritz von "Arbeitslast"; Landesversammlung der nationalliberalen Parteien Badens, Freiburger Zeitung, 11.12.1906, Artikel
  • Zur Roeren-Kritik in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung und der Kölnischen Volkszeitung; Kolonialforderung auf dem Parteitag der Nationalliberalen in Baden, Freiburger Zeitung, 12.12.1906, Artikel
  • Budgetkommission des Reichstags lehnt Nachtragsetat für Südwestafrika ab; Bülow verhandelt mit Abgeordneten, Freiburger Zeitung, 13.12.1906, Artikel
  • Weitere Debatte im Reichstag um den Etat 1907 für Südwestafrika; Berichte von Prof. Hahn und Farmer Schlettwein vor der Budget-Kommission; Angriffe auf den Abgeordneten Roeren, Freiburger Zeitung, 14.12.1906, Artikel
  • Reichstag aufgelöst wegen Verweigerung des Kolonialkriegs-Nachtragsetats, verschiedene Pressestimmen und Reichstagsberichte, Freiburger Zeitung, 15.12.1906, Artikel
  • Rücksendung von Truppen aus DSW, Freiburger Zeitung, 05.01.1907. Artikel
  • Ex-Gouverneur Leutwein zur Reichstagsdebatte um Truppenstärke in DSW, Freiburger Zeitung, 07.01.1907. Artikel
  • Debatte um Kosten des Kolonialismus, Freiburger Zeitung, 08.01.1907. Artikel
  • Bericht von einer Veranstaltung des kolonialpolitischen Aktionskomitees in Berlin (insb. Referat Dernburg), Freiburger Zeitung, 09.01.1907. Artikel
  • Weitere Debatte um die Kosten des Kolonialismus, Freiburger Zeitung, 09.01.1907. Artikel
  • Zur "Niederwerfung der Bondels" und andere Meldungen, Freiburger Zeitung, 10.01.1907. Artikel
  • "Über den Wert der Kolonien" (Südwestafrika), Missionsfeier in Freiburg, Kosten der Kolonien, Freiburger Zeitung, 11.01.1907. Artikel
  • SPD in Freiburg zu Reichstagswahl und Kolonialfrage; Pater Acker zu Ostafrika: "Gott will, dass wir kolonisieren", Freiburger Zeitung, 11.01.1907. Artikel
  • Kolonialdirektor Dernburg über eigenen Kolonialbesitz und Handelspolitik, Freiburger Zeitung, 12.01.1907. Artikel
  • "Unruhen in Kamerun" und Debatte im Reichstag zum Kolonialetat und der Einrichtung eines Reichskolonialamtes, Freiburger Zeitung, 04.05.1907. Artike

 

Hintergrundtext zum Thema:

  • Heyden, Ulrich van der (2007): Kolonialkrieg und deutsche Innenpolitik - Die Reichstagswahlen von 1907 Zum Text

Zum Seitenanfang