Hinweis zur Transkription: Die Flublätter werden so dargestellt, dass Gestaltungsformen und Hervorhebungen des Originals hier zum Teil nachempfunden sind; sie entsprechen aber insgesamt nicht dem Originallayout. Auch wird hier auf mehrspaltige Darstellung verzichtet. Zur genauen Zitierfähigkeit sind ggf. die Seitenwechsel kenntlich gemacht. Schreibweisen wurden durchgängig dem Original gemäß übernommen - also mit Fehlern.
|
Dokumentation historischer Quellen und Dokumente: Die Reichstagswahlen 1907 |
|||||||||||||||
Stadtarchiv Freiburg M31/1b Nr. 12; hier: zweite Hälfte der S. 4 der Freiburger Flugschrift des Zentrums: "Kolonialpolitik und Reichstagsauflösung. Vortrag des Herrn Abgeordneten Fehrenbach, gehalten am Freitag, den 28. Dezember, in der städtischen Kunst- und Festhalle zu Freiburg im Breisgau" Zum Dokument (pdf, 17 Seiten) Erwiderung des Herrn Abg. Rechtsanwaltes C. Fehrenbach auf die Angriffe des Herrn Prof. Dr. Fabricius in der liberalen Wählerversammlung am 29. Dezember 1906. Der Herr Professor Fabricius hat in der liberalen Samstags-Versammlung meine Freitagsrede „beleuchtet“. Die dummdreiste Phraseologie (...) [Wort unleserlich] zurzeit in der „Breisgauer Zeitung“ das lib(...) [Stelle unleserlich] (politische?) Bildungsbedürfnis versorgt, meint, „daß [Stelle unleserlich] Fehrenbach geschlagen, klein gemacht sei so [Stelle unleserlich] wie die Haltung seiner Partei in der ganzen Angelegenheit. Fabricius hat nach der Berichterstattung [Stelle unleserlich] Zeitung“ behauptet, „ich hätte völlig verschwiegen, daß der Aufstand während der Statthalterschaft des Herrn Obersten Leutwein ausgebrochen sei.“ Das ist nicht wahr. Ich habe vielmehr mit genauen Zahlen angegeben, daß und warum im Oktober 1903 die Bondelzwarts sich empörten und daß ihnen im Januar 1904 die Hereros folgten. Ich habe weiter vorgetragen, daß im Verlaufe dieser Kämpfe Leutwein im militärischen Kommando enthoben und durch den Obersten Dürr ersetzt wurde und daß nach dessen nur vierwöchentlicher Anwesenheit Generalleutnant von Trotha das militärische Kommando übernahm. Ich habe sogar aus Leutweins Buch die Stelle Seite 437 wörtlich verlesen: „Ja sogar noch im Monat Juni 1904, mitten im Hererokriege, habe ich die Truppe dem Generalleutnant von Trotha mit Bundesgenossen aus allen Hottentottenstämmen übergeben können.“ Herr Fabricius soll meiner Rede angewohnt haben. Ich will zu seinen Gunsten annehmen, daß er bei diesen Ausführungen nicht ordentlich aufgepaßt hat. Der Herr Professor soll dann auch meine Meinung, daß die Entsendung einer so großen Truppenzahl von 15000 Mann ein Fehler war, als unberechtigt zurückgewiesen haben. Ich will seine Meinung durch die Ausführungen eines Parteifreundes „beleuchten“, der in dieser Sache ein viel kompetenteres Urteil hat, nämlich das des nationalliberalen Abgeordneten Dr. Semler, der in diesem Sommer Deutsch-Südwestafrika bereiste und dort auch im Verkehr des Militärs sich seine Ansicht bilden konnte. Dr. Semler führte in der 129. Reichstagssitzung vom Donnerstag, den 29. November 1906 aus (Stenographisches Protokoll Seite 3987 erste Spalte): „Meine Herren, wir aber müssen umsomehr Wert auf diese Zahlen legen, als wir nur an der Hand dieser großen Militärlasten dartun können, daß wir recht gehabt haben, wenn wir früher gesagt haben, daß das System der Expeditionen und der unvorbereiteten Kriegführung in den Kolonien verkehrt sei. Ich selbst habe bereits im vorigen Jahre Gelegenheit gehabt auszuführen, daß nach meiner Ueberzeugung im Jahre 1904 ein gewissenhafter Kolonialdirektor notfalls gegen den Generalstab die Erklärung hätte abgeben müssen, daß mit 15000 Mann in Südwestafrika ein Krieg überhaupt nicht zu führen war, nicht zu führen mangels von Landungsstellen, mangels von Straßen, von Etappen, von Eisenbahnen, kurz von allen Hilfen moderner Kriegführung.“ Dabei ist bekanntlich Herr Dr. Semler ein Kolonialschwärmer. Daß die Schlachtenbilder, wie sie Herr Professor Fabricius so rührend dargestellt haben soll, nach der Oekonomie meiner Rede nicht nötig waren, dürfte einem Hochschullehrer nicht entgangen sein. Da ich aber für Wesentliches in der knappsten Form über zwei Stunden brauchte, durfte ich Unwesentliches nicht auch noch herbeiziehen. Der Herr Professor versteht es auch nicht, wie man für einen eiligen Bahnbau in Afrika Pläne und Kostenvoranschläge verlangen könne und führt später nach der „Breisgauer Zeitung“ aus: „Diese Verzögerung des Bahnbaues hat uns viele Millionen und Abermillionen gekostet, sie hat uns auch noch mehr gekostet. Denken Sie an die Mannschaften, an die Verwundeten und Kranken, die nun, bis diese Bahn einmal fertig wird – und es wird wohl zu spät sein – in den schotternden Oschenkarren jetzt wochenlang gequält werden auf den steinigen Wegen, bis sie an die Küste zur Heimfahrt transportiert sind. Das, meine Herren, diese Qualen der Mannschaften, die verantwortet die Zentrumspartei.“ Ich stelle dieser leidenschaftlichen, ohne jede Detailkenntnis hinausgeworfenen und mit der objektiven Wahrheit im schlimmsten Widerspruche stehende Anklage einfach folgende Tatsache gegenüber, wobei ich bemerke, daß der Herr Professor durch meine Namhaftmachung der beiden Daten vom 15. Dezember und 31. Oktober 1906 in meiner Rede vor den größten Unklugheiten hätte gewarnt sein können. Im „Deutschen Kolonialblatt, Amtsblatt für die Schutzgebiete in Afrika und der Südsee, herausgegeben in der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes“, Berlin, 1. Dezember 1906, Nummer 23 Seite 780 erste Spalte, ist folgendes zu lesen: Aus Anlaß der Eröffnung der Bahnstrecke Lüderitzbucht-Aus erscheint der nachstehende Ueberblick über die Baugeschichte von Interesse: 1905: 15. Dez. Genehmigung der Bahn durch den Reichstag 27. Dez. Baubeginn 1906: 27. April Eröffnung der Ladestelle in Kilometer 16. 2. Juni Eröffnung der Ladestelle in Kilometer 24. 11. Juli Eröffnung der Haltestelle Rotkuppe in Kilometer 37. 23. Aug. Eröffnung der Haltestelle Tschaukaib in Kilometer 72. 13. Sept. Eröffnung der Haltestelle Garub in Kilometer 105. 10. Okt. Eröffnung des Betriebsbahnhofs Aus in Kilometer 138. 31. Okt. Eröffnung der Haltestelle Aus Kilometer 140. Daraus geht für jeden Denkenden hervor, daß vor dem 1. November 1906 mit dem Bahnbau Aus-Reetmanshoop nicht hätte begonnen werden können. Daraus folgt, daß die Reichsregierung die im Mai noch nicht vorhandenen Pläne und Kostenanschläge noch bis zum 1. November hätte nachholen und die Genehmigung des Reichstages ev. in einer außerordentlichen Session hätte einholen können, wenn ihr an der Möglichkeit des Weiterbaus im November so viel lag. Sie glaubte aber damals offenbar, daß es genüge, wenn der Bau vom 1. Januar 1907 ab weitergeführt werden könnte. Daß dies das Zentrum zu ermöglichen suchte, habe ich am Schlusse meiner Rede ausführlich dargetan, wie sich jeder aus der vorstehenden Wiedergabe im Wortlaut überzeugen kann. Wenn jetzt der Weiterbau infolge der jähen Reichstagsauflösung unmöglich ist, so haben dies nur die Regierung und die ihr zustimmenden Parteien zu verantworten. Wenn doch aufgelöst werden sollte, so hätte dies auch noch 48 Stunden später, nach Genehmigung der Bahn, geschehen können; die Welt wäre nur um einen Theatercoup ärmer geworden. Aber auch die Fortsetzung der Bahn kann natürlich nicht so plötzlich erfolgen, wie sich dies Herr Professor Fabricius vorzustellen scheint. Bis jetzt scheint der Dünen- und Wüstengürtel, etwa ein Drittel der ganzen Karawanenstraße, durchquert; es bleibt noch eine Strecke von annähernd 240 Kilometer bis Keetmanshoop zurückzulegen, und von dieser sind im 2. Nachtragsetat nur die Kosten für 140 Kilometer bis Feldschuhhorn vorgesehen, während die Kosten für die restlichen 100 Kilometer im Etat für 1907 angefordert werden sollen. „Die Station Feldschuhhorn wird voraussichtlich binnen 12 Monaten nach der Verabschiedung dieses Nachtragsetats eröffnet werden können. Für die dann noch nötigen Arbeiten sind zwar noch weitere 8 Monate vorgesehen, möglicherweise werden sie aber unter günstigen Umständen noch im Rechnungsjahr 1907 beendet sein.“ (Aus der Denkschrift.) Zur Berechtigung des Reichstages, Plan und Kostenvoranschlag zu verlangen, äußert sich die Denkschrift dahin: „Die bisherigen Unterlagen für das letzte Stück der Bahn (Feldschuhhorn – Keetmanshoop) ermöglichen noch nicht, dieses Stück so zuverlässig zu veranschlagen, wie es zur Bemessung der hierfür zu beantragenden Mittel nötig ist.“ Und der stellvertretende Kolonialdirektor Dernburg führte in der 128. Reichstagssitzung vom 28. November 1906 aus: „Die verbündeten Regierungen erkennen gerne an, daß durch die seinerzeitige Ablehnung, abgesehen von den jetzt erhöhten Kosten für das Oberbaumaterial, eine sehr wesentliche Einbuße für das Reich bisher nicht entstanden ist.“ (Stenographisch. Protokoll Seite 3900, Spalte 1.) Was soll man nun angesichts dieser Tatsachen zu den klangvollen, aber inhaltslosen Deklamationen des liberalen Versammlungsredners sagen? Zu seinen Gunsten kann man nur annehmen, daß er ohne Kenntnis der maßgebenden Tatsachen auf gut Glück hin seine schweren Anschuldigungen erhoben hat, allerdings ein starkes Stück. Seine Musik soll aber wahrscheinlich das Leitmotiv für die künftigen liberalen Versammlungen abgeben. Und deshalb lag es mir daran, diesen Plan gründlich zu verderben. Wer nach diesen Feststellungen es noch wagt, für hinausgeworfene „Millionen und Abermillionen, für die Qualen der Mannschaften“ das Zentrum verantwortlich zu machen, der ist ein Schwindler und Volksbetrüger! Nun drehe ich aber den Spieß um und frage: Wer hat es auf dem Gewissen, daß der Bahnbau am 1. Januar nicht fortgesetzt werden kann? Wer hat nun „die Millionen und Abermillionen, für die Qualen der Mannschaften“ zu verantworten? Die innere Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit verlangt vom Herrn Professor, daß er jetzt diese Verantwortung der Reichsregierung und den mit ihr gehenden Parteien, speziell der nationalliberalen, aufbürdet! Herr Professor Fabricius hat dann auch seine Verwunderung darüber ausgesprochen, daß man Männer in die Budgetkommission schicke, die das Generalstabswerk über den Krieg in Deutsch-Südwestafrika nicht kennen, welches doch in jeder Buchhandlung für 1,20 Mark erhältlich sei! Der Herr Professor braucht sich um meine Bibliothek und meinen Geldbeutel nicht zu kümmern; die Reichstagsabgeordneten bekommen die Denkschrift des Großen Generalstabes gratis geliefert. Vielleicht dämmert es nun dem Herrn Professor allmählig, daß er gar keinen Anlaß hat, mich in dieser Sache von oben herunter zu schulmeistern. Seinen guten Rat will ich aber mit einem gleichen vergelten: Es ist vielleicht irgendwo antiquarisch ein Büchelchen aus alten Zeiten aufzutreiben, betitelt: „Anleitung zum wahrhaftigen und unverfälschtem Verständnis und Beschrieb der Geschehnisse in der weiten Welt.“ Das sollte sich der Herr Professor verschaffen! Wenn es auch nicht auf dem neuesten Standpunkt der wissenschaftlichen Anschauungen steht, er könnte doch vieles daraus lernen! Freiburg, 31. Dez. 1906. Constantin Fehrenbach. Rotationsdruck der J. Dilger'schen Buchdruckerei in Freiburg i. Br. |
||||||||||||||||
Übersicht zu den Reichstagswahlen 1907 Flugblätter/Flugschriften
Zeitungen
Hintergrundtext zum Thema:
|
||||||||||||||||