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Pressedokumentation:

Dr. Veit Valentin (Freiburg): Mitteleuropa und das deutsche Kolonialreich.

 

Deutsche Kolonialzeitung (DKZ, Organ der Deutschen Kolonialgesellschaft), Nr. 1, 20.1.1916, S. 12-13

Mitteleuropa und das deutsche Kolonialreich.
Wie auf ein gegebenes Zeichen hat die ausländische Presse an den Weihnachtstagen Notiz genommen von Friedrich Naumanns Buche „Mitteleuropa“. Zwei Gedanken fallen da auf: der erste ist plump und naheliegend. Paul Seippel schreibt im ‚Journal de Genève“ vom 27. Dezember unter der Ueberschrift: „Die Gefahr von morgen“, daß Österreich-Ungarn in ein Verhältnis der Halbvasallenschaft zu dem Deutschen Reiche treten solle. Der zweite Gedanke ist feiner und gefährlicher. Er geht nicht einfach darauf aus, durch böswillige Deutung Mißtrauen zwischen den Zentralmächten säen zu wollen. Der ehemalige französische Botschafter in Berlin Jean Herbete überschriebt seine Reflexionen im „Echo de Paris“ vom 27. Dezember: „Deutschland will sich ein Kolonialreich in Europa zurechtschneiden.“ Und er sagt so: „Weil Deutschland nicht die Herrschaft über die Meere gewinnen kann, muß es Kolonien in Europa suchen. Österreich wird für dieses Kolonialreich der beste Nährboden sein.“
Ich gehe nicht auf die Bedeutung des Naumannschen Buches ein. Nur so viel möchte ich betonen: wenn unsere Feinde aus seinem Erscheinen und aus seinem Erfolg den Schluß ziehen, daß Deutschland auf die Mitherrschaft in der großen Welt verzichten wolle und seine Entschädigung auf dem europäischen Kontinent zu suchen beabsichtige, so ist das eine vollkommen schiefe Auffassung. Der koloniale Gedanke im Sinne der Gewinnung überseeischer Herrschafts- und Wirtschaftsgebiete ist in Deutschland lebendiger als je; wenn jemals, so ist jetzt der Zeitpunkt für Entscheidungen auf diesem Gebiete da. Der Erfolg unserer Orientpolitik zeigt die Wichtigkeit unserer afrikanischen Position; das eine Wirkungsgebiet wird durch das andere [Wechsel auf S. 13] gesichert, gehalten und ergänzt. Unser Verhältnis mit Oesterreich-Ungarn ist ein Problem für sich. Für eine Kolonialpolitik der Resignation brauchen wir aber unsere Verbündeten nicht. Also: nach wie vor und jetzt erst recht koloniale Expansion in der er großen Welt! Denn der Gedanke der Kolonisation ist zum bestimmenden Antrieb des Weltgeschehens geworden; durch sie wirken reife, blühende Völker ihre besten Kräfte aus. (1)

Dr. Veit Valentin,
Privatdozent a. d. Universität Freiburg i.Br.

(1) Vgl. meine "Kolonialgeschichte der Neuzeit". Ein Abriß, mit zwei farbigen Karten. 215 S. u. 4 Anhänge. Tübingen, 1915. J. C. Mohr (Paul Siebeck). Preis geh. 4,80 M geb. 6 M. Das Buch ist ein Versuch, die Studierenden, die Lehrer und den weiteren Kreis der Geschichtsfreunde durch eine knapp zusammenfassende Darstellung in das kolonialgeschichtliche Gebiet einzuführen.


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