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Dokumentation:

Prof. Eugen v. Philippovich: Allgemeiner Überblick über den Stand der kolonialen Unternehmungen“, Vortrag gehalten auf der vierten ordentlichen Generalversammlung des Deutschen Kolonialvereins am 6.5.1887 in Dresden

Transkription: Andreas Flamme

Deutsche Kolonialzeitung (Organ des Deutschen Kolonialvereins), IV. Jahrgang, 1887, Heft Nr. 11, S. 333-340

[...]

Die Versammlung trat nun ein in die Behandlung der auf der Tagesordnung (publiziert Deutsche Kolonialzeitung, Heft 7, S. 226) stehenden Gegenstände und erhält zunächst Herr Professor Dr. v. Philippovich-Freiburg das Wort und gibt in folgendem Vortrag (Punkt 5 der Tagesordnung) einen „Allgemeinen Überblick über den Stand der kolonialen Unternehmungen.“:

Hochansehnliche Versammlung!

Mit überraschender Schnelligkeit ist jene Expansivbewegung, welche im Jahre 1882 in der Gründung des Deutschen Kolonialvereins ihren Ausdruck fand, auf das Gebiet der praktischen Bethätigung übergegangen. Dasselbe Deutschland, das Jahrzehnte lang für Kolonien schwärmte ohne auch nur einen Finger zu rühren, um wirklich welche zu erwerben, hat von dem Zeitpunkt an, in welchem es eingriff, nicht 4 Jahre gebraucht um Kolonien von einer Größe und einer Bedeutung zu erlangen, die meiner Ansicht nach in der Gegenwart in ihrer Gesamtheit ebenso sehr unterschätzt werden, als man seinerzeit die ersten Erwerbungen überschätzt hatte. Gibt es doch Deutsche, welche sich und ihrem Volke gar nicht die Fähigkeit zutrauen, wirklich Kolonien zu erwerben und zu verwalten; Leute, welche ich mit dem ungläubigen Thomas vergleichen möchte, die nicht sehen, wenn sie nicht fühlen, welche man nach Ost- und Westafrika, nach Südwest- und Südostafrika, nach den Südseeinseln und Neu-Guinea transportieren müßte, damit sie ihre Finger auf den Boden legen und sagen können: „Ja doch! Das ist deutsches Land, das sind deutsche Kolonien.“ Schrankenlose Begeisterung auf der einen, vollständige Abweisung auf der andern Seite, das sind noch immer die beiden äußersten Gegensätze. In der Mitte stehen die Ungläubigen, die Mut- und Thatlosen, aber nicht grundsätzlich Feindlichen und die
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überzeugten Kolonialpolitiker, welche in unerschütterlichem Vertrauen auf den inneren Werth der Bewegung ihren ruhigen Gang gehen, wahres von falschem sondern, prüfend und erprobend, nicht „himmelhoch jauchzend“, aber auch nicht „zu Tode betrübt“. Das kann ja keinem Zweifel unterliegen, daß nicht alle Erwerbungen den gleichen Wert haben, und manches Stück unsres Besitztums erst in das rechte Licht gerückt werden muß. Der Gang, welchen die Angliederung überseeischen deutschen Besitzes genommen hat, brachte es mit sich, daß gerade ein äußerst unwirtliches Gebiet als erste Kolonie jubelnd begrüßt wurde, so daß man sich dann manchen wertvollsten Erwerbungen gegenüber äußerst mißtrauisch erwies. Der Weg ist in kürze folgendermaßen zu zeichnen.

Im Frühjahr 1882 erwirbt Lüderitz an der Südwestküste Afrikas, im Gebiet der Namaquas, einen Landstrich, Angra Pequena, und sucht um den Schutz des Deutschen Reiches nach. Das Widerstreben der Engländer ergibt die Notwendigkeit langwieriger diplomatischer Verhandlungen, mancherlei Ränke jener Nation drängen zu einer Ausdehnung des Besitzes und rascher Sicherung des freien Gebietes, so daß beim Abschluß eines Übereinkommens mit England im April 1884 die ganze Südwestküste nördlich vom Orangefluß bis hinauf zum Cap Frio mit Ausnahme der Walfischbay deutscher Hoheit unterstellt ist. Durch ein in den letzten Monaten mit Portugal geschlossenes Uebereinkommen wurde sodann die Grenze noch weiter hinaufgeschoben bis zum Cunnene und Cubango, so daß Deutschland nunmehr in jenem Teil Afrikas einen Besitz von größerer Ausdehnung als das Deutsche Reich hat.

Die Verhandlungen mit England waren gerade dem Abschluß nahe, als deutsche Erwerbungen an der Guineaküste, im Togolande und Kamerun von Neuem die seefahrenden Nationen Europas beunruhigten. Diesmal waren es neben den Engländern die Franzosen, welche ihre Rechte verletzt glaubten, und es dauerte bis zum April bezw. Dezember 1885 bis nach mannigfachem Gebietstausch, gegenseitigen Versicherungen gegen zukünftige Eingriffe in die beiderseitigen Kolonien und Schutzgebiete, eine Anerkennung der deutschen Erwerbungen erreicht wurde. Durch die neuerlich getroffenen Abmachungen mit Frankreich ist das deutschem Einfluß unterworfene Gebiet im Togoland auf 18 000 qkm angewachsen, während der Kamerunbesitzung samt den in der deutschen Interessensphäre liegenden Teilen im Inneren eine Ausdehnung in der Größe Deutschlands zukommt. Während noch mit Frankreich und England Vereinbarungen getroffen wurden, errang deutsche Thatkraft in anderen Teilen der Erde neue, noch größere Erfolge als in Westafrika in Frage standen. Im Herbste des Jahres 1884 wurden der nord-östliche Teil von Neu-Guinea und die davor lagernden Inseln Neu-Britannien, Neu-Irland u.s.w trotz englisch-australischer Proteste unter deutschen Schutz gestellt und schließlich auch als deutsche Kolonie „Kaiser Wilhelms-Land und Bismarckarchipel“ anerkannt. Fast zur selben Zeit wurde von Peters jener bekannte abenteuerliche Zug nach Ostafrika unternommen, welcher durch Erwerbungen einiger Landstriche an der Küste gegenüber der Insel Sansibar den Grund legte zu jenen ausgedehnten Besitzungen, die daselbst gegenwärtig der deutschen Interessenspähre angehören. Die Vervollständigung dieser Erwerbungen in Ostafrika, die Ausdehnung, der Schutzherrschaft auf die Marschallinseln, die Angliederung der größeren der Salomoninseln an Kaiser Wilhelmsland, die Erwerbung des Witulandes an der Ostküste von Afrika bilden den Inhalt der äußeren deutschen Kolonialgeschichte der letzten zwei Jahre. In Bezug auf die räumliche Ausdehnungen ist zu bemerken, daß die Kolonie Kaiser Wilhelmsland samt dazugehörigen Inseln etwa der Hälfte des Deutschen Reiches gleichkommt, die deutschen Besitzungen in Ostafrika die Größe des letzteren um das dreifache übertreffen.

Die Ungunst der Verhältnisse, welche es Deutschland erst so spät ermöglicht hat, in die Reihe der Kolonialmächte zu treten, hat auch bewirkt, daß jene Landstriche, welche nun endlich von Deutschland in Besitz genommen worden sind, alle eine gewisse Gleichheit äußerer Verhältnisse aufweisen, die sich der Entwicklung des Besitztums hindernd in den Weg stellen. Dazu gehören vor allem die Arbeiter- und Klimafrage. Die allzeit bereiten Totengräber deutscher Kolonialpolitik haben nicht gesäumt, diese Fragen so zu beantworten, daß derjenige, welcher ihnen Vertrauen schenken zu müssen glaubte, den Stab über die deutsche Kolonialpolitik brechen mußte. Die eingebornen Arbeiter unserer Kolonien werden uns vorgeführt, einer Behandlung unterworfen, schlimmer als die, die wir unsern Lasttieren angedeihen lassen, und wenn jemand nur von der Möglichkeit einer einstigen Auswanderung in die Kolonien spricht, so fehlt wenig, daß man ihn für einen vorsätzlichen Mörder erklärt. Mit solchen entschieden feindlichen Gesinnungen, welche auf unsinniger Übertreibung beruhen, brauchen wir uns nicht herumzuschlagen. Wir wollen den wahren Ernst der Sache ins Auge fassen.

Da muss ich denn freilich gestehen, daß ich auch mit jenen nicht diskutieren kann, welche in einem radikalen Utopismus das Prinzip der Gleichheit in allen politischen und sozialen Angelegenheiten mit uns Europäern Wesen gegenüber zur Anwendung bringen wollen, welche das Rasiren für einen Gottesdienst
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und die Herstellung der einfachsten Einrichtungen zur Erhaltung des Lebens für Zauberei halten. Und wenn wir uns selbst jenen Bewohnern einzelner Inseln der Südsee gegenüber nicht gehoben fühlen dürfen, welche uns bei sich ergebender Gelegenheit ohne Zaudern als einen Leckerbissen in ihre Kochtöpfe wandern ließen, dann vermag ich allerdings keinen Unterschied zwischen hoch und niedrig entwickelter Kultur mehr zu fassen. Es ist doch einfach thöricht, Menschen, welche nur die ersten Spuren einer sich entwickelnden Kultur an sich tragen, mit unsren deutschen Arbeitern zu vergleichen und für erstere Rechte in Anspruch zu nehmen, die die letzteren vermöge ihrer gesellschaftlichen Bildungsstufe verlangen können, die für jene aber nicht einmal die Bedeutung einer Zukunftsforderung haben, weil alle Voraussetzungen für ihre Durchführung fehlen. Es kann für uns den Eingebornen gegenüber nur die eine Aufgabe geben, die ihrer Erziehung zur Selbstständigkeit. Mag auch ein in die Zukunft schauender Geist bei einer solchen Politik an Stelle der deutschen Kolonien Negerreiche erblicken, die sich von Deutschland getrennt haben, mag es auch sein, daß wir damit den Grund legen zum einstigen Verluste der kaum erworbenen Besitzungen, die Menschlichkeit, wie unser an das Vorhandensein konsumtionsfähiger Eingeborner geknüpftes Interesse zwingten uns dazu, diesen Weg einzuschlagen. Die Mittel, die wir herbei zu wählen haben, von unserem entfernten Standpunkte spekulativ bestimmen zu wollen, wäre unverständig. Es gibt kein allgemein gültiges Schema für die beste und zweckmäßigste Behandlung von Menschen, hier müssen die konkreten Verhältnisse die Richtung bestimmen, welche in positiver Weise einzuschlagen ist. Wir können unsere Forderungen nur negativ formulieren und werden sagen, daß weder eine doktrinäre Gleichmacherei, noch eine grausame Behandlung, geschehe dies nun in der Form der Sklaverei oder in andrer Weise, Platz greifen dürfe. Im übrigen aber überlassen wir es dem Ermessen der einzelnen Interessenten und Kolonialverwaltungen vorzugehen.

Soll dennoch ein Prinzip festgesetzt werden, so möchte ich das von Schäffle aufgestellte annehmen, daß es sich nur um eine auto- und aristokratische, aber bestens bevormundende Verwaltung handeln könne. Allerdings haben wir noch mit einer zweiten Seite der Arbeiterfrage zu rechnen. Die Eingeborenen arbeiten ungern und unstät. Sie arbeiten, so lange irgend ein Bedürfnis sie treibt, sich von den Schätzen der Europäer etwas zu erwerben, und man kann nicht mehr mit Sicherheit daruuf [sic!] rechnen, die für den Plantagenbetrieb stets nötige Menge von Arbeitskräften zu erhalten. Hier kann nur eines helfen. Das Steigen des Bedürfnisstandes mit fortschreitender Zivilisation. In dem Maße, in dem der Verbrauch von Gütern größer und regelmäßiger wird, wird auch die Zahl der Arbeiter und die Dauer ihrer Arbeit wachsen, regelmäßiger und berechenbarer werden. Was den thatsächlichen Stand der Arbeiterfrage anbelangt, so ist man auf dem dünn bevölkerten und mit einer wie es scheint, durchaus arbeitsunlustigen Bevölkerung versehenen Kaiser Wilhelmsland genötigt gewesen, Chinesen und Malayen als Arbeiter anzustellen. In Ostafrika ist ein fühlbarer Mangel an Arbeitern an den einzelnen Stationen noch nicht aufgetreten. Noch haben sich immer wieder, wenigstens an gewissen Mittelpunkten, Arbeiter gefunden. Was werden wird, wenn ihre ersten Bedürfnisse nach europäischen Produkten befriedigt sind, bleibt abzuwarten. Eines darf aber wohl angenommen werden. Zahlreiche Stämme, die bisher wie ein Rudel Wild den Sklavenjagden preisgegeben waren, finden jetzt Schutz im Banne der Stationen deutscher Kolonialgesellschaften und werden dadurch zu einem geregelten Leben hingeführt werden. Das Bedürfnis, die gewonnene Ruhe zu genießen, sich die Annehmlichkeiten zu verschaffen, welche nach ihren Vorstellungen das Dasein verschönern, wird wachsen. Vielleicht wird hierdurch die Möglichkeit der Gewinnung stätiger Arbeitskräfte gegeben werden.

Was die klimatischen Verhältnisse anbelangt, so sind dieselben nach mannigfachen Aussagen durchaus nicht ungünstig in Deutsch-Südwestafrika und auf Kaiser Wilhelmsland samt den dazu gehörigen Inseln. Das erstere Gebiet hat nach den Berichten des Reichskomissars Dr. Goehring in seinen Gesundheitsverhältnissen nichts Nachteiliges aufzuweisen. Ein genügender Wasserreichtum im Inneren des Landes ermöglicht die stete Versorgung mit frischem Wasser. Wäre nicht der trostlos öde, steinige Gürtel, der 30 Meilen breit das Innere von der Küste absperrt, so wäre namentlich in den fruchtbareren Teilen des Hererolandes die Möglichkeit einer ersprießlichen Ansiedlung gegeben. Wie weit dieselbe wenigstens Einzelnen ermöglicht werden kann, ist erst nach genauerer Durchforschung des Gebietes zu beurteilen. Direkt in Aussicht zu nehmen wäre aber eine solche Auswanderung einzelner Gruppen – an Massenauswanderung und Ableitung des deutschen Auswanderungsstroms ist niemals zu denken – in die deutschen Schutzgebiete in der Südsee, da nach den Berichten Dr. Schellongs, des Arztes einer von der Neu-Guinea-Kompanie ausgerüsteten Expedition, „die von ihm beobachteten Malariafälle keinen Grund bieten könnten, in den sanitären Verhältnissen ein Hindernis der Kolonisation des Landes zu erblicken“. Bei der großen Vorsicht, welche die genannte Gesellschaft in der Veröffentlichung von Berichten über ihr Verwaltungsgebiet walten läßt, wird man an der Verläßlichkeit des Berichterstatters nicht
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zweifeln dürfen. Wir wissen auch aus andern Berichten, daß die Gesellschaft binnen Jahr und Tag Grund und Boden an Einzelne abtreten zu können hofft. So bleiben denn noch die deutschen Besitzungen in West- und Ostafrika, welche allerdings – Togoland und Kamerun ganz, Deutsch-Ostafrika zum größten Teile – hochtropischem Klima unterworfen sind. Allein bevor man aus diesem Grunde über die Erwerbungen abfällig urteilt, möchte ich doch auf das verweisen, was meiner Ansicht nach als Ergebnis der Verhandlungen des Geographentages in Karlsruhe über diesen Gegenstand anzusehen ist. Der verdiente Afrikareisende Paul Reichard, Missionar Büttner und Hugo Zöller fanden Gelegenheit sich zu äußern und neben den pessimistischen Anschauungen des Erstgenannten kam die gemäßigtere Meinung der Letzteren zum Ausdruck. Es ging daraus hervor, daß man ein so ausgedehntes Gebiet wie Deutsch-Ostafrika nicht mit einem Maßstabe messen dürfe, daß neben gefährlichen Orten auch durchaus gesunde Gegenden bekannt geworden seien. Es ist zu bedenken, daß die Lage der Europäer, welche jetzt in jenen Gegenden weilen, eine durchaus andere ist, als die der ersten Forschungsreisenden. Jene finden eine Reihe von europäischen Stationen vor; geschulte Träger, gebahnte oder doch begangene und bekannte Wege erleichtern die Reise zu denselben. Mangel an Lebensmitteln ist nicht zu befürchten. Der Aufenthalt in Stationen gestattet größere Pflege, die Anlage von Gesundheitsstationen, von Krankenhäusern ermöglicht Erholung und Genesung. Bei den vorläufig geplanten Zwecken des Aufenthaltes von Europäern ist ferner nicht zu übersehen, daß dielben [sic!] mehr oder weniger ein ruhiges Verweilen ohne anstrengende körperliche Arbeit gestatten, daß regelmäßig Ablösungen eingeführt werden können. Endlich möchte ich doch daran erinnern, daß ein Blick in die Reiseliteratur unserer und vergangener Zeiten uns zeigt, daß in allen Teilen der Erde, unter allen Breitegraden, in den gefährlichsten Klimaten Deutsche im Dienste fremder Nationen gefunden werden und zu finden waren. Als Schiffsführer und Steuerleute, als Matrosen und Schiffssoldaten, als Kaufleute, Plantagenaufseher, Stationsvorsteher, in allen Stellungen finden wir sie, in Zentralamerika und an der Guineaküste, im malayischen Archipel, wie an den Gestaden des indischen Ozeans. So werden wir denn, wenn wir gleiche Verhältnisse in unsren Kolonien finden, diese nicht für jeden ohne weiteres als Thätigkeitsfeld empfehlen, aber wir können hoffen, daß auch hier deutsche Vorsicht, Kühnheit und Ausdauer die Aufgaben lösen werden, welche die Kolonien uns stellen.

Da an Massenauswanderung gar nicht, an eine Gruppenauswanderung in die besiedelbaren Teile unsrer Kolonien vorläufig nicht zu denken ist, sind auf absehbare Zeiten die wirtschaftlichen Aufgaben, die es in den Kolonien zu erfüllen gilt, durch den Handelsbetrieb und Plantagenbau gegeben. In all unseren Kolonien steht der Handel noch auf seiner ersten primitiven Stufe, er ist geldloser Tauschhandel. Auf der einen Seite kommen hierbei die einfachsten aber möglichst buntfarbigen Leinen- und Wollwaren in Betracht, Eisenwaren für den täglichen Gebrauch, Werkzeuge für die notwendigen Hantirungen, allerlei Kram, der von einem kindlichen Geschmack als Schmucksache betrachtet wird, namentlich Perlen, überhaupt böhmische Glaswaren, die verschiedensten Gegenstände ersten Lebensbedarfes u.f.w. Wir beziehen dafür von den Eingebornen tropische Rohprodukte: Elfenbein, Kautschuk, Häute, Palmöl, Palmkerne, Farbstoffe u. dgl.. Die von den Eingebornen am meisten begehrten Artikel sind zugleich diejenigen, welche ihnen bis zu einem gewissen Grade vollständig vorenthalten bleiben sollten: Branntwein und Gewehre mit Munition. Mit der Hingabe der ersteren untergräbt der Europäer Gesundheit, Verstand und Leben der Eingeborenen, mit Ueberlieferung der letzten verzichtet er auf das wichtigste Mittel, seiner geistigen Überlegenheit unter Umständen auch den nötigen physischen Nachdruck zu verleihen. In den deutschen Kolonien wird dieser Grundsatz im Wesentlichen auch beachtet. Auch sonst bietet sich ja Gelegenheit genug, dem Neger für ihn wertvolle Gegenstände als Tauschobjekt anzutragen. Trotzdem nun in einzelnen Gebieten, wie in Togo und Kamerun, dieser Handel ungemein reich entwickelt ist, ist er doch noch einer ganz gewaltigen Steigerung fähig. Jeder Handel stützt sich auf das Entstehen von Bedürfnissen und den natürlichen Verbrauch oder die Zerstörung jener Dinge, mit welchem wir unsre Bedürfnisse befriedigen. Bei einem einigermaßen geregelten Leben wiederholen sich dieselben Bedürfnisse immer wieder von neuem, und da alle Konsumtionsgüter früher oder später der Vernichtung anheimfallen, ist eine stetige Zufuhr aller dieser Güter eine natürliche Aufgabe des Handels. Je reichlicher und mannigfaltiger unsere Bedürfnisse, desto umfassender natürlich auch die Güterzufuhr. Bisher wurde nun in den Handel mit den Eingebornen Afrikas gewissermaßen Raubbau getrieben. Um in den Besitz ihrer kostbaren Naturgüter zu gelangen, brachte man in bunter Mannigfaltigkeit eine Reihe von Dingen, welche einen Bedürfnisreiz vorfinden oder einen solchen ausüben mochten. Auf die Wirkung der von den Eingebornen eingetauschten Waren für die Entwicklung ihres Lebens legte man dabei geringen oder gar
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keinen Wert. So kommt es, daß die Neger z.B. an der Westküste Afrikas von ihrem Jahrzehnte langen Handel mit den Europäern noch keine intensive Förderung ihrer Kultur erhalten haben. Ja, vor hundert Jahren wurden bereits ganz dieselben Güter unsrer Industrie daselbst getauscht wie heute. Diese oberflächliche Art der Negerkultivierung – wenn man die Ausnützung der allerniedrigsten zu Tage liegenden Bedürfnisse der Neger für Tauschzwecke so nennen darf – kann und wird geändert werden durch die Kolonialverwaltungen. Dieselben werden die Eingebornen in den Gebrauch und dem Nutzen der mannigfachen Güterformen unterweisen, welche unsre Kultur uns zur Verfügung stellt, der Nachahmungstrieb und das Streben eines jeden Menschen, sich das Leben behaglich einzurichten und mit verschönernden Genüssen auszufüllen, werden den Sinn der Eingebornen für die Produkte europäischer Industrie wecken und entfalten. Dadurch erschließt sich erst eine reiche Quelle des Handels, welche nie versiegen und auch nicht, wie der gegenwärtige Handelsbetrieb, von Launen und flüchtig auftauchenden und vergehenden Bedürfnissen abhängig wird. Im Gegenteile, sie wird immer voller strömen, weil sie ihren Ursprung in dem Verlangen der menschlichen Natur nach Entwicklung genommen hat, welches, einmal geweckt, unaufhaltsam wirkt.

Die zweite Form der wirtschaftlichen Ausnützung unsrer Kolonien ist die tropische Landwirtschaft, der Plantagenbau. Das Wünschenswerte der Entfaltung desselben in unsren Kolonien kann niemand leugnen. Wir geben alljährlich für Baumwolle 180 Millionen Mark, für Kaffee 130 Millionen Mark, für Tabak 41 Millionen Mark, für Chinin 13 Millionen Mark u.s.w. im ganzen für tropische Produkte etwa 500 Millionen Mark aus. Dieselben können mit geringen Ausnahmen in den deutschen Kolonien erzeugt werden. Die reiche Menge von Bau- und Nutzhölzern von Pflanzenstoffen, Farbstoffen, verschiedenen noch nicht genügend verwerteten oder dem Ausland bezogenen Lebensmitteln (Kakao, Mais, Reis u.s.w.) welche in unsren Kolonien gedeihen, sie alle können der Heimat nutzbar gemacht werden. Die bedeutenden Summen, die wir bisher dafür an das Ausland zu zahlen haben, werden dem Inlande zu gute kommen. Jene Millionen werden die heimische Industrie in gleichem Maße fördern, wie die Entwickelung des Handels. Auch darauf muß aufmerksam gemacht werden, daß gerade der pflanzliche Reichtum, durch welchen unsre Kolonien sich auszeichnen, in seiner Bedeutung für wirtschaftliche, technische und sanitäre Zwecke noch nicht genügend erforscht ist. Es wäre sehr zu wünschen, daß in dieser Beziehung der Vorschlag des Herrn Soyaux, staatliche Versuchsplantagen zu errichten, Anklang fände. Mehr noch als in unsrer Heimat, deren Pflanzenprodukte jeder Landwirt kennen zu lernen und zu würdigen vermag, ist der unbekannten Tropenwelt gegenüber eine Forschung am Platze, die ohne Rücksicht auf Gewinn vorzugehen mag. Wie wir botanische Versuchsanstalten in Muskau, Merseburg und Karlsruhe haben, so können und sollten solche auch in Kaiser-Wilhelmsland, Togo oder Kamerun, in Witu und an einem anderen Punkte, im Inneren Deutsch-Ostafrikas errichtet werden. Sollte übrigens auf einen Erfolg in dieser Hinsicht, beim Reiche nicht gerechnet werden können, so mögen es die bestehenden Kolonialvereine sich angelegen sein lassen, die Durchführung der Sache als eigne Aufgabe anzusehen.

Noch in einer weiteren Hinsicht weisen unsre Kolonien eine gemeinsame Eigentümlichkeit auf. Sie werden mit geringen Ausnahmen dauernd darauf angewiesen sein, die Hilfsmittel der Produktion, Werkzeuge und Maschinen aus dem Mutterlande einzuführen. Ja, auf absehbare Zeiten hinaus wird selbst das Geldkapital zur Durchführung der notwendigen Arbeitstätigkeiten der Heimat entnommen werden müssen, da nicht daran zu denken ist, etwa auf dem Wege der Besteuerung die Kosten der Verwaltung hereinzubringen. Es ist daher eine dauernde Kapitaleinfuhr in unsere Kolonien zu gewärtigen und zwar in den nächsten Jahren eine Kapitaleinfuhr ohne Zurückgewinnung eines entsprechenden Ertrages da es sich durchaus um Investitionen in Unternehmungen von zwar dauernder aber spät eintretender Rentabilität handelt. Möge niemand sich wundern, wenn er stets nur von Kapitalanlagen und nie etwas von Kapitalzinsen hört. Von so großer Bedeutung diese Kapitalaussaugungen unsrer Kolonien auch bereits gegenwärtig für einzelne Industrien ist, indem sie die Herstellung der in den Kolonien verwendeten Kapitalgüter in der Heimat zur Voraussetzung hat, für diejenigen, welche als Unternehmer die Kapitalanlagen vornehmen, kann nach der ganzen Lage der Kolonien und der oben erwähnten Art der wirtschaftlichen Ausnützung derselben ein Gewinn erst nach einer Reihe von Jahren schwieriger Arbeit erwartet werden.

Selbst in jenen Kolonien, welche, wie Togo und Kamerun, einen bis in die sechziger Jahre zurückgehenden Handel aufzuweisen haben, sind doch nur wenige Europäer über die Küstenstriche hinausgekommen, so daß auch die Hinterländer jener Gebiete noch großenteils als unerforscht gelten können. Zu viel höherem Grade ist dies sodann der Fall mit den Schutzgebieten in Ost- und Südwestafrika und Kaiser-Wilhelmsland samt Bismarckarchipel. Eine der wichtigsten Aufgaben, vor welchen wir
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gegenwärtig stehen, ist daher die allgemeine Erforschung der erworbenen Landstriche. In ethnographischer, zoologischer, botanischer und geologischer Hinsicht sind unsre Kenntnisse noch ebenso zu vermehren, wie in Bezug klimatologische und meteorologische Verhältnisse Ja selbst die ersten Grundlagen geographischen Wissens, die Kenntnis der räumlichen Gliederung, Flußläufe, Gebirge x. ist noch in vieler Beziehung mangelhaft. Wenn wir von der Notwendigkeit einer Aufklärung in all diesen Richtungen sprechen, so wollen wir dadurch nicht nur eine Bereicherung unsrer wissenschaftlichen Erkenntnisse herbeiführen, sondern auch die unentbehrliche Unterlage für eine gedeihliche Wirksamkeit in den Kolonien gewinnen. Die Möglichkeiten der Ausnützung des vorhandenen Reichtums, die Bedingungen für einen kürzeren und längeren Aufenthalt von Europäern, sowie für die unmittelbare Gewinnung der für ihren Lebensunterhalt nötigen Produkte, die Richtungen der natürlichen Verkehrswege, Wasserstraßen und Thälerverbindungen mit Hinblick auf die künftige Entwicklung des Verkehrs, der zu bauenden Wege und Eisenbahnen kennen zu lernen, das sind die nächsten Ziele der Thätigkeit unsrer Kolonialverwaltungen. Ihre Durchführung liegt den Stationen ob, die an möglichst günstigen Punkten angelegt werden. Sie bilden zugleich die Mittelpunkte des bereits gegenwärtig betriebenen Handelsverkehrs. Mit ihnen sind Versuchsanstalten mancherlei Art in Verbindung zu bringen zur Erprobung der tropischen Gewächse, zur Einbürgerung wichtiger europäischer Pflanzen, die uns, wie die vielerlei Arten der Gemüse, unentbehrlich geworden sind, zur Tierzüchtung, sowohl mit Rücksicht auf Schlachtvieh, wie in Hinblick auf Zug- und Tragtiere.

Namentlich in Ostafrika wird die Frage der Elephantenzähmung, des Nutzens von Kameel und Esel sehr wohl erwogen werden. In den Stationen geht die unmittelbare, dauernde Berührung mit den Eingebornen vor sich. Hier ist der Hebel einzusetzen, um Einfluß zu gewinnen auf die Gesittung und Lebensweise der urwüchsigen Völker und von der richtigen Auswahl der Stationen wie ihrer Leiter hängt daher die ganze Zukunft der kolonialen Entwicklung ab. Ihre Anlage und Ausbildung, intensive und extensive Erweiterung hat daher mit Recht bisher den größten Teil des Arbeit- und Kapitalaufwandes unsrer Kolonialgesellschaften in Anspruch genommen. Erst nach ihrer Einrichtung konnte an die Organisation des Handels und des Plantagenbaues geschritten werden, welche Betriebe sich an feste Mittelpunkte des Verkehrs mit den Eingebornen, wie mit dem Mutterlande anlehnen müssen. Der Mangel an solchen an der Westküste von Afrika hat wesentlich dazu beigetragen, den Handel auf einen Küstenhandel zu beschränken. Alle jene großen Aufgaben, welche bereits zum Teil erfolgreich angebahnt worden sind, forderten aber natürlich Kapitalinvestitionen, die einen unmittelbaren Ertrag nicht abwerfen konnten, so wenig, wie die durch Jahre sich hindurch ziehenden Vorarbeiten zum Bau einer Eisenbahn, die Trazirung der Linie, die Vornahme der Erdarbeiten, das Legen der Schienen, die Herstellung der Züge einen Gewinn gewähren, wenn auch das ganze Unternehmen ein Gewinn versprechendes ist.

Die Durchführung der von mir gekennzeichneten Aufgaben, die Leitung und Aufsicht in den Kolonien steht teils kaiserlichen Beamten, teils den Kolonialgesellschaften unter Oberaufsicht des Reiches zu. Das erstere ist der Fall in Togo und Kamerun, das letztere in den übrigen Kolonien, nur Südwestafrika weist ein Mischverhältnis auf, indem hier ein kaiserlicher Kommissar neben der Hoheitsrechte ausübenden „Deutschen Kolonialgesellschaft,“ thätig ist. Die letztere hat wieder die „Deutsch-Westafrikanische Kompanie“ ins Leben gerufen, die übrigens nicht nur am Ramaqua- und Hererolande und in dem nördlich davon am Cunene liegenden Ovambolande Unternehmungen zu treiben beabsichtigt, sondern auch in Kamerun Plantagen- und Handelsbetrieb organisiren will. Wie mächtig übrigens hier der Handel bereits entwickelt ist, mag man daraus ersehen, daß an nicht weniger als 51 Orten an der Westküste Afrikas bereits deutsche Handelsniederlassungen bestehen. In Ostafrika haben die „Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft“ und die „Witu-Gesellschaft“ ihr Operationsgebiet. Die letztere hat sich in dem unmittelbar an der Küste gelegenen, im Süden vom Osi und Tanafluß begrenzten Sultanat Witu niedergelassen, die erstere hat das ungeheure Gebiet südlich des Tanaflusses bis zm Rovuma und nördlich von Witu bis zum Kap Guardasui zu verwalten. Zur Vermeidung jeder Zersplitterung von Kapital- und Arbeitskräften hat die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft ihre Thätigkeit vorläufig auf die ersterworbenen Gebiete westlich von Sansibar beschränkt. Zum besonderen Zwecke der Tabakkultur in diesen Gebieten hat sich eine „Ostafrikanische Plantagengesellschaft“ gebildet, die Bildung einer weiteren ist im Gange. Die Verwaltung unsrer Kolonien in der Südsee, Kaiser Wilhelmsland, Bismarckarchipel und Salomoninseln liegt der „Neu-Guinea-Kompanie“ ob. Sie ist die einzige Gesellschaft, welche von Zeit zu Zeit ein einem eigenen Organe „Nachrichten von und über Kaiser Wilhelmsland und den Bismarckarchipel“ Bericht über den Fortgang der Erforschung und Verwaltung ihres Gebietes gibt. An denselben ist die sorgfältige und vorsichtige Art ihres Fortschreitens zu ersehen und man
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gewinnt aus der Lektüre dieser Berichte den Eindruck, daß die Gesellschaft mit der Bekanntmachung günstiger Urteile, welche verlockende Aussichten auf Erfolge eröffnen könnten, eher zurückhält, als daß sie dieselben in den Vordergrund stellte. Aus den Berichten des Kommissars von Englisch Neu-Guinea-Kompanie ein einem Monate mehr für die Verwaltung ihres Gebietes ausgibt, als England in einem Jahre für die seinige und ihre Thätigkeit daher bei weitem erfolgreicher sich gestalten werde.

In allen unsren Kolonien finden wir daher bereits Gesellschaften thätig, die Schätze zu heben, die in ihnen verborgen liegen. Es kann ja keinem Zweifel unterliegen, daß damit die eigentliche ernste Arbeit beginnt, die Deutschland zum Vorteil gereichen kann. Nun wird es sich zeigen, ob die Deutschen in ihrer großen Menge auch praktisch sein können, oder ob die Begeisterung, die tausende von gereisten Männern ergriffen hat nur eine nachklingende Erinnerung an den hellen Jubel ist, den in unserer Jugend phantastische Indianergeschichten und Schilderungen einer märchenhaften Pracht des tropischen Lebens in uns hervorgerufen haben. Ich will nicht leugnen, daß ich in der That glaube, daß auch dieses Element des Schwärmens in unverstandener Sehnsucht nach fernen Ländern voll einer die Sinne berauschenden Pracht eine Rolle spielt, wie ja so manche schöne Tat aus unklaren Trieben hervorgegangen ist. Aber geradezu frevelhaft ist es, die Meinung auszusprechen und allen Nationen zu Gehör es auszurufen, daß hierin der eigentliche Kitt der deutschen Kolonialbewegung gelegen sei. Seit mehr als hundert Jahren durchziehen deutsche Forscher Missionare, Kaufleute, Auswanderer die ganze Welt, und wenn auch viele von ihnen der Heimat auf immer verloren gegangen sind, so sind doch auch Viele wieder zurückgekehrt, ausgerüstet mit der Kenntnis überseeischer Verhältnisse, versehen mit jenen besonderen Eigenschaften, welche das Leben und die Arbeit unter den eigens gearteten Bedingungen unsrer Kolonien erfordert. Der Deutsche hat ja noch ein Stück Landknechtnatur seiner Verfahren [sic!] in sich. Wie diese in den Heeren aller Völker zu finden waren und sich gegenseitig bekriegten, so finden wir auch heute noch in den wirtschaftlichen Armeen der Völker Deutsche als Heerführer, wie als einfache Soldaten die Kräfte jener unterstützend, Deutschlands Stellung in der Weltwirtschaft erschwerend. Wer diese Thatsache einmal ins Auge gefasst, der muß die Überzeugung gewinnen, daß es Deutschland nicht an Kräften für jede Art überseeischer Politik, sondern nur an dieser selbst und ihrer materiellen Grundlage, den Kolonien gefehlt hat. Wer sich von der Entwicklung, der die deutschen weltwirtschaftlichen Beziehungen fähig sind, von dem Maaße [sic!], das sie bereits erreicht haben, überzeugen will, der möge einen Blick in die umfangreichen Berichte der vor zwei Jahren in England eingesetzten königlichen Kommission zur Untersuchung der Ursachen des Niederganges von Handel und Industrie werfen. Der Eindruck wird in ihm hervorgerufen werden, daß die Spitze der Verhandlungen gegen Deutschland gerichtet ist, das vor allem beschuldigt wird, England aus dem ungestörten Besitz seiner wirtschaftlichen Oberhoheit aufgescheucht zu haben. Wird doch in dem zusammenfassenden Schlußberichte nur der deutschen Konkurrenz ein besonderer Paragraph gewidmet, dessen wesentliche Stelle lautet: „Ein Blick auf die auswärtigen Berichte zeigt, daß in jedem Teile der Erde die Ausdauer und Unternehmungslust der Deutschen sich fühlbar macht. In der thatsächlichen Produktion von Gütern haben wir, wenn überhaupt, nur wenige Vorteile vor ihnen voraus, und in der Kenntnis der Weltmärkte, in der Bereitheit sich örtlichem Geschmack und örtlicher Vorliebe anzupassen, haben sie uns erwiesenermaßen geschlagen.“ Das ist nicht deutsch-nationaler Chauvinismus, was hieraus spricht, sondern die sehr nüchterne Erwägung englischer Industrieller und Händler, welche die deutsche Ausdauer an sich erproben mußten.

Diese Ausdauer darf uns jetzt nicht fehlen. Sie wird uns aber auch nicht fehlen, denn wir schöpfen unsre Kräfte heute aus der ganzen Nation. Als vor zwei Jahrhunderten der Große Kurfürst Kolonialpolitik zu treiben versuchte, als vor anderthalb Jahrhunderten Österreich in Ostindien Faktoreien errichtete, als der alte Rettelbeck noch in diesem Jahrhundert das nunmehrige Königreich Preußen für überseeische Erwerbungen zu erwärmen suchte, da war es stets nur ein Teil des Ganzen, der die Aufgabe lösen sollte. Erst aus der Fülle der Nation heraus, gestützt auf eine politische Macht, wie sie nur ein einiges Deutschland zu geben im stande war, konnte die Befriedung eines lang gehegten Wunsches erfolgen, und mit dem Bewußtsein, eine wichtige nationale Aufgabe zu erfüllen, gehen wir daran, die weltwirtschaftliche Stellung Deutschlands zu kräftigen. Das ist uns klar geworden, daß die Entscheidungen über die Geschichte der Völker heute nicht mehr in den Grenzen des alten Europas gefällt werden. Wir haben mit der Entwicklung der Dinge nicht zu rechten, und wenn es uns selbst die alte Gemütlichkeit im engen Kreise ans Herz gewachsen wäre, so müssen wir doch über unsre Grenzen hinaus in den Weltverkehr treten und die Bedingungen desselben so zu gestalten suchen, wie sie für uns am günstigsten sind. Darum ging unser Streben darauf hinaus, Kolonien zu erwerben, darum wollen wir das
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Erworbene festhalten und fördern, darum wollen wir eine Verbindung herstellen, die von Weltteil zu Weltteil sich schlingt und alle Deutschen auf der Erde zusammenfasst, zu gemeinsamer Arbeit an der Größe der Nation. Es ist eine gewaltige Aufgabe, welche jugendliche Kraft erfordert. Auf dürrem Holze würde solch junges Reis nicht wachsen, einem abgestorbenen Baume blüht eben kein Frühling mehr. Wir aber fühlen uns noch jung und stark, uns blüht der Frühling von neuem, seit wir uns in das Getriebe der Welt gestellt wissen, und darum lassen Sie uns alle Kraft zusammennehmen, damit diese Zeit der Kolonialpolitik nicht wie ein Blütentraum verwehe, sondern gesegnete Früchte trage zum Nutzen und zur Ehre des ganzen Volkes. (Lebhafter Beifall.)

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