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Hintergrundtexte zum deutschen Kolonialismus auf freiburg-postkolonial.de:

Leicht veränderte Fassung der Erstveröffentlichung in: ROSA – Die Zeitschrift für Geschlechterforschung 2010, 40: S. 4-7.


Online-Stellung 28.7.2010

 

 

Exotismus.

«Get into the mystery ...» der Verflechtung von Rassismus und Sexismus

von Chandra-Milena Danielzik und Daniel Bendix

Kritische Weißseinsforschung geht davon aus, dass Rassismus ein Problem von Weißen ist und beschäftigt sich konsequenterweise mit der Konstruktion von Weißsein, um die Wirkungsweise von Rassismus offen zu legen. Eine solche Blickverschiebung ermöglicht es, dem Phänomen des Exotismus auf die Spur zu kommen: Dieser geriert sich als harmlose Faszination für das «Fremde», ist aber in seiner unweigerlichen Verquickung mit Sexismus essentieller Bestandteil von rassistischen Denk- und Handlungsweisen.

Vor einiger Zeit startete die Eiscreme-Marke Häagen Dazs eine Werbekampagne, in der potenzielle Kund/innen aufgefordert wurden, «ihre Zunge auf Reisen gehen zu lassen» und sich in «das Geheimnis Westafrikas zu begeben» (siehe Abbildung 1). Eine rassismuskritische Auseinandersetzung mit dieser Werbung könnte danach fragen, inwieweit die Schwarze1 Frau in Analogie zum Eis als ein «Exotik» und Abenteuer versprechendes Konsumgut angeboten und somit zum Objekt rassistischer Zuschreibungen wird. Was passiert aber nun, wenn man sich das Werbeplakat als Bühne vorstellt und einen Blick vor und hinter die Kulissen wagt? Durch die Blickerweiterung treten nun sowohl die Produzent/innen und Konsument/innen der Werbung in Erscheinung als auch die gesellschaftlichen Strukturen, in denen eine solche Werbung überhaupt erst Wirkung erzielen kann. Es werden nicht mehr lediglich die durch Rassismus Diskriminierten zum Thema gemacht, sondern ebenso die Personen und Gruppen, die rassistische Bilder und dadurch rassifizierte Identitäten schaffen und davon profitieren. Das Anliegen der so genannten Kritischen Weißseinsforschung (KWF) ist es, Weißsein – im Gegensatz zu vereinzelten Weißen Subjekten – ins Visier zu nehmen: Denn Rassismus beschränkt sich weder auf allein stehende «Rassist/innen» und schon gar nicht stellen die von Rassismus diskriminierten Menschen das Problem dar. Im Folgenden geht es uns darum, die Entstehung, Entwicklung und Schwerpunktsetzungen dieser Forschungsperspektive vorzustellen, um auf dieser Grundlage zu erörtern, welche neuen Perspektiven die Kritische Weißseinsforschung auf das Thema «Exotik» zu bieten hat.

Abbildung 1: Werbung von Häagen-Dazs "Get into the mystery of West Africa" (2003)

Kritische Weißseinsforschung: Entstehung, Entwicklung und Perspektiven

Die derzeitige wissenschaftliche Forschung zu Weißsein hat ihre Basis im jahrhundertealten Expertentum von Schwarzen über Weißsein, das u.a. dem Überleben in durch Rassismus gekennzeichneten Weißen Räumen dient/e. 2 Erste Abhandlungen, die auch in euro-amerikanischen Wissenschaftsinstitutionen Gehör fanden, legte der afro-amerikanische Soziologe W.E.B. DuBois vor einem guten Jahrhundert vor. DuBois nahm die Konturen des aktuellen Forschungsfeldes zum Großteil vorweg: Es ging ihm um die Fragen, wie sich Weißsein als unsichtbare Norm konstruiert, wie Weiße ökonomisch, politisch, kulturell und psychisch von Rassismus profitieren und auch um die Tatsache, dass Weiße die eigene Verstrickung in Rassismus ausblenden und leugnen. Durch den fortwährenden Kampf und Protest von Schwarzen Menschen im Zusammenhang mit den sich akademisch institutionalisierenden Black Studies und Postcolonial Studies wurde in den 1980er und 1990er Jahren in den USA der Weg für die Untersuchung des normierenden Ausgangspunkts von Rassismus geebnet. Ende des 20. Jahrhunderts stieg die Zahl der Studien zu Weißsein und zur Herstellung Weißer Identität exponentiell an, so dass die KWF mittlerweile zu einem international vernetzten Forschungsbereich geworden ist – auch wenn sie weiterhin ein Dasein an der Peripherie der Disziplinen und des akademischen Mainstreams fristet.

Mit Toni Morrison geht die Kritische Weißseinsforschung davon aus, dass viel Zeit und Arbeit in die Analyse der Auswirkungen von Rassismus auf die Diskriminierten investiert wurde; jede Auseinandersetzung mit Kolonialismus und jede Bekämpfung von Rassismus gehe aber nicht weit genug, wenn nicht der Blick auf den Einfluss von Rassismus und Kolonialismus auf die Diskriminierenden und Herrschenden selbst gelenkt werde. 3 Die Herstellung von Weißsein muss also ebenso wie die von Schwarzsein analysiert werden. Weißsein hat paradoxerweise wenig mit der Farbe der Haut zu tun 4 – die sonnenbankgebräunte Weiße bleibt Weiß, die hellhäutige Schwarze Schwarz – aber viel mit der kulturellen Aufladung körperlicher Merkmale. Diese (Haare, Haut, Gesichtsform, etc.) werden für die Herstellung von Weißsein und Schwarzsein willkürlich herausgegriffen und mit bestimmten Eigenschaften in Verbindung gebracht. Somit darf Weißsein nicht als essentialisierende Kategorie missverstanden werden, welche sich auf den Melaningehalt der Haut bezieht; körperliche Merkmale und deren Aufladung waren immer und bleiben sozial-politische Konstruktionen. Weißsein stellt grundsätzlich eine relationale Kategorie dar, die sich über Schwarzsein konstituiert und gleichzeitig nicht zeitlos und monolithisch ist. Sie ist vielmehr eine historisch und gesellschaftlich wandelbare Kategorie, welche sich mit anderen Ein- und Ausschlussmechanismen wie Geschlecht, Sexualität, Klasse und Nationalität verschränkt. Weißsein kann man somit definieren als «kulturell interpretiertes rassialisiertes Konstrukt und historisch geprägte Repräsentation von Identität [...], welche sich auch unabhängig von Selbstwahrnehmungen gesellschaftspolitisch realisiert».5 Weißsein ist – unabhängig davon ob es kritisch reflektiert wird oder nicht – eine Machtposition, die es ermöglicht, der Welt Sinn zu verleihen und daraus Herrschaft abzuleiten bzw. diese aufrecht zu erhalten.

Der Weiße Blick und Exotismus

Im Deutschen spricht mensch davon, «einen Blick auf jmd. zu werfen»; Blicke sind dementsprechend selten neutral und unschuldig, sondern gerichtet. Es besteht ein ungleiches Machtverhältnis zwischen Betrachter/in und Betrachtetem. Wie die Farbmetaphorik Schwarz-Weiß nahe legt, ist Visualität grundlegend für Rassismus. In der KWF wird dementsprechend vom Weißem Blick gesprochen – ein rassialisierender Blick, der von Weißen ausgeht und dessen Objekt Schwarze Menschen sind. Weißsein erhebt sich selbst dabei zum normativen Zentrum, das den Maßstab für die Klassifizierung der betrachteten Objekte darstellt. Ein Weißer Blick ist nicht zuletzt auch eine Art voyeuristisches Betrachten, da er sich selbst unsichtbar macht und die eigene Subjektivität bei der Observierung verheimlicht. Eine kritische Weißseins-Perspektive versucht dieses Subjekt/Objekt-Verhältnis aufzubrechen, indem es Weißen den Spiegel vorhält, welcher zwar aufgrund bestehender Herrschaftsverhältnisse nicht vermag, den Blick eins zu eins zu wenden, diesen jedoch auf das beobachtende Subjekt wirft. So markiert die KWF den Standort der Betrachtung und benennt das kolonial-historische Gewordensein dieser Weißen Subjektivität. Dass der Blick auf etwas vermeintlich Exotisches ein Weißer Blick ist, wird verständlich, wenn mensch die Wortherkunft beachtet: «Exotisch» bedeutet «ausländisch» oder «fremdländisch, überseeisch» und fand im Zeitalter der europäischen Aufklärung, des Kolonialismus und Imperialismus Eingang in die deutsche Sprache. «Überseeisch» verweist dabei auf das Objekt der «Exotik»: Es sind nicht Weiße Europäer/innen, sondern die Menschen der damaligen europäischen Kolonien.

Antidiskriminierungsbüro Sachsen Abbildung 2: Antidiskriminierungsbüro Sachsen, Fotografie: Betty Pabst

Frauen aus «exotischen Ländern» würden immer bevorzugt, klagte «Miss Austria» beim Miss World-Wettbewerb 2009 gegenüber den Medien. Die Zeitschrift Focus meinte, ihren Vorwurf ad absurdum führen zu können, indem sie anmerkt, dass die «Miss World 2009» aus Gibraltar komme, was zu den «exotischen» Ländern «kaum gezählt werden» könne. Das Beispiel verdeutlicht, dass wer oder was als «exotisch» gilt, auch in unserem Alltagsgebrauch eindeutig ist; es scheint selbstverständlich, dass Weiße Menschen nicht unter die Kategorie «exotisch» zu fassen sind. «Exotisch» ist also eine rassialisierte Kategorie und deren ideologischer Gehalt lässt es sinnvoll erscheinen, von Exotismus zu sprechen.

Intuitiv scheinen sich Exotismus – als die faszinierte Betrachtung des vermeintlich Fremden – und Rassismus gegenseitig auszuschließen. Rassismus wird üblicherweise mit Diskriminierung, Nationalismus, Hass und Gewalt in Verbindung gebracht und somit negativ assoziiert. Rassismus will vermeintlich Fremde fernhalten; sie sollen «bleiben, wo sie hingehören». Exotismus hingegen will ihnen näher kommen und schreibt ihnen scheinbar positive Attribute zu. Mit «Exotik» werden «Südsee», süße und saftige Früchte, aufregend Unbekanntes, Genuss und Lust verbunden. Das «Exotische» wird als «Fremdes» begehrt, «exotische»“ Länder werden zum Reiseziel für «Abenteurer/innen» und «Europamüde». Auffällig ist, dass bei den Imaginationen von «Exotischem» immer Ästhetisierung, die oftmals eine erotisierende Form annimmt, mitschwingt. So wird der vermeintliche Reiz des «Exotischen» vor allem in der Werbung und im Tourismus genutzt, um bei Konsument/innen Verlangen zu wecken.

Tatsächlich sind aber Rassismus und Exotismus nicht voneinander zu trennen: Exotismus ist ein inhärenter Teil, eine Spielart von Rassismus. Das bedeutet, dass Rassismus als Abgrenzung/Abstoßung und Exotismus als Anziehung/Begehren sich nicht antagonistisch gegenüberstehen. Exotismus ist der Moment innerhalb von Rassismus, in dem die rassialisierte Grenzziehung durch Ästhetisierung oder auch Sexualisierung des «Anderen» scheinbar unterwandert wird. Wie dargelegt, klassifizieren Weiße aber nur Menschen des globalen Südens als «exotisch», was darauf verweist, dass es sich um eine rassialisierte Form der Ästhetisierung handelt. So führt die Dimension der Ästhetisierung – besonders in ihrer sexualisierten Ausformung – die vermeintlichen Gegensätze von Dämonisierung und Herablassung auf der einen Seite und Anziehung und vermeintliche Aufwertung auf der anderen zusammen.

Koloniale Fantasien und Herrschaft

In einer Untersuchung deutscher Literatur aus der Zeit vor der kolonialen Expansion Deutschlands führt Susan Zantop die Verwicklung von Sexualisierung und Rassismus eindrücklich vor Augen. Fantasien und Projektionen führten zu einer «latenten Kolonialisierung»,6 die der faktischen den Boden bereitete. Die «Fremde» wurde deutschen Seh- und Erfahrungsbedürfnissen unterworfen, welche ein Ausdruck dessen waren, was die Europäer/innen ihrem Selbstverständnis entsprechend nicht sein durften: «wild», «animalisch» und sexuell freizügig. Dies verdeutlicht noch einmal, dass die Beschreibung oder Darstellung von «Exotischem» nichts über die auf diese Art Objektivierten aussagt, sondern vielmehr Licht auf die Wünsche und Ängste der Weißen Betrachter/innen selbst wirft. So drückt auch das eingangs vorgestellt Plakat ein Weißes Begehren nach der «exotischen», naturverbundenen Ferne aus, die im Unterschied zur «Zivilisation» keine Zügelung und Konventionen kennt. Der Körper der Schwarzen Frau wird hier zur Projektionsfläche Weißer Fantasien nach ungehemmter Lust; der Slogan «Lassen sie ihre Zunge auf Reisen gehen“ fordert zur Befriedigung des Begehrens nach «Exotik» auf. Das «Fremde» und «Exotische» kann und soll erobert, konsumiert und einverleibt werden.

Antidiskriminierungsbüro Sachsen Abbildung 3: Antidiskriminierungsbüro Sachsen, Fotografie: Betty Pabst

Da die Perspektive des/r Betrachters/in auf das «Exotische» ein Weißer, eurozentrischer Standpunkt ist, kann der Blick nicht umgekehrt und Weißsein nicht exotisiert werden. Die Beständigkeit dieses Machtverhältnisses hat ihren Ursprung in der jahrhundertealten Exotisierung im Kontext von «Entdeckungen», Kolonisierung und Ausbeutung seit der Ankunft von Columbus im heutigen Amerika. Exotismus, also sexualisierte Fantasien Weißer Subjekte in Bezug auf rassifizierte «Andere», ist nicht zu trennen vom Streben nach Beherrschung. Die Exotisierung von Menschen ist ein Gewaltverhältnis, das die zu «Exoten» Gemachten nicht nur homogenisiert, stereotypisiert und der Selbstbestimmung beraubt, sondern sie auch kontrolliert. Der Bezug auf die Körperlichkeit von Exotisierten verleiht Exotismus eine physische Angriffsfläche. Im Kontext dieser körperlichen Dimension, stellt beispielsweise Sextourismus in ehemals kolonisierte Gebiete eine extreme Form der Einverleibung des «Anderen» und der Ausnutzung von Privilegien dar. Die Reduzierung der «Anderen » auf ihre Körperlichkeit bedeutet, dass ihnen der Gegenpol zum Körper, nämlich Intellekt, abgesprochen wird (siehe Abbildung 2). Gleichzeitig konstruieren sich so Weiße als Träger/innen von Geist und Vernunft. Auch werden exotisierte Menschen in der «Ferne», also jenseits von Europa, außerhalb eines Weißen (nationalen) Kollektivs verortet und bleiben somit unabhängig ihrer selbstbestimmte Identität und Herkunft immer «die Ausländer» (siehe Abbildung 3). Exotisierung hat somit reale, materielle Konsequenzen sowohl für Exotisierte als auch für Exotisierende.


Anmerkungen:

  1. Um darauf zu verweisen, dass die Kategorien «Schwarz» und «Weiß» soziale und politische Konstruktionen sind und eben keine biologistischen Essenzen darstellen, verwenden wir die Großschreibweise. zurück
  2. Vgl. Kilomba, Grada, No Mask, S. 84f., i n: Eggers, Maureen Maisha et al. (Hg.). Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland, Münster 2005, S. 80 – 88. zurück
  3. Vgl. Morrison, Toni, Playing in the Dark. Whiteness and the literary imagination, New York 1993, S. 90. zurück
  4. Vgl. Dyer, Richard, Whiteness, London - New York 1997, S. 49. zurück
  5. Arndt, Susan, Weiß-Sein, Roland Barthes la vaccine und die afrikanisch-feministische Literatur, 2006, URL: http://www2.hu-berlin.de/ffz/dld/arndt04.pdf , aufgerufen am 6.04.2006. zurück
  6. Zantop, Susan, Colonial Fantasies: Conquest, Family, and Nation in Precolonial Germany , 1770-1870, Durham 1997. zurück

Siehe auch auf freiburg-postkolonial:

  • Bräunlein, Peter: Ein weißer Mann in Afrika - Rassismus und Geschlechterverhältnisse in Tarzanfilmen (2004) Zum Text
  • Grimm, Sabine: Kulturkritische Ansätze der postcolonial studies (1997; 77 KB, pdf) Zum Text
  • Nduka-Agwu, Adibeli und Daniel Bendix: Die weiße Darstellung ‘Afrikas’ in der deutschen Öffentlichkeit. Wie ein Kontinent genormt, verformt und verdunkelt wird (2007) Zum Text
  • Zeller, Joachim und Heiko Wegmann: Fotogalerie: „Mohren“- Ein Stereotyp in der Alltagskultur (2008 ff.) Zur Galerie
  • und die Rubrik Fotogalerie

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