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Dieser Beitrag erschien zuerst 2009 im Inkota-Dossier Der Kolonialismus und seine Folgen Mehr

 

siehe auch:

Oguntoye, Katharina: Prekäre Subjekte - Die afrikanische Diaspora in Deutschland vom 18. Jahrhundert bis zum Nationalsozialismus (2009) Zum Text

 

Nduka-Agwu, Adibeli und Daniel Bendix: Die weiße Darstellung ‘Afrikas’ in der deutschen Öffentlichkeit. Wie ein Kontinent genormt, verformt und verdunkelt wird (2007) Zum Text

 

Möhle, Heiko: Eine endlose Geschichte - Nachwirkungen des Deutschen Kolonialismus in Kamerun (2004) Zum Text

Hartnäckiges Erbe - Wie koloniale Strukturen Kamerun bis heute prägen und Probleme bereiten

Das Erbe der Kolonialzeit ist in Kamerun allgegenwärtig: angefangen vom Namen des Landes und seinen Grenzen, über die Verwaltungsstrukturen bis hin zu Wirtschaft, Politik und Sprache. Viele Aspekte dieses Erbes erweisen sich heute als Belastung für eine positive Entwicklung des Landes. So haben sich etwa die gezielt von den Kolonialherren eingesetzten korrupten Eliten bis heute ihren Einfluss bewahrt. Und die willkürliche Festlegung der Staatsgrenzen birgt weiterhin vielfältiges Konfliktpotenzial. Eine Bestandsaufnahme.

von David Simo

Schon am Namen Kamerun wird deutlich, dass das Land eine europäische Kreation ist. Er wurde aus dem portugiesischen Wort „Camerões“ (Krabben) abgeleitet. Bei ihrer Umsegelung Afrikas kamen die Portugiesen im 15. Jahrhundert in den Golf von Guinea und „entdeckten“ die Mündung eines Flusses, den sie „Rio dos Camerões“ nannten, weil er voller Krabben war. In der kamerunischen Sprache der Douala heißt der Fluss Wouri. Aber die Europäer behielten die portugiesische Bezeichnung bei. Aus der Bezeichnung des Flusses wurde zunächst der Name für die Stadt, die an der Mündung des Flusses lag, und dann die Bezeichnung für das ganze Territorium, das die Deutschen – den Bestimmungen der Berliner Afrikakonferenz entsprechend – 1885 als eigenes Schutzgebiet reklamierten.
Der Fluss und die Stadt, Douala, haben ihren ursprünglichen afrikanischen Namen zurückbekommen, nicht aber der Staat. Für ihn gab es und gibt es keine afrikanische Bezeichnung, denn er existierte nicht, bevor die Deutschen ihn durch Grenzverträge mit Engländern und Franzosen aus dem Nichts schufen. Bei dem Grenzkonflikt, der vor ein paar Jahren zwischen Kamerun und Nigeria ausbrach und zu kriegerischen Auseinandersetzungen führte, bezog sich der Internationale Gerichtshof in Den Haag, der die Schlichtung übernahm, auf deutsche und englische Dokumente und Karten.
Viele Bevölkerungsgruppen wurden durch die kolonialen Grenzen in verschiedene Länder verteilt und mussten lernen, mit neuen Landsleuten zu leben und Verwandte in den Nachbarländern als Ausländer zu betrachten. Massas, Toupouris und Saras findet man beispielsweise sowohl in Kamerun als auch im Tschad und sogar in der Zentralafrikanischen Republik. Die Fang findet man nicht nur in Kamerun, sondern auch in Gabun und im Kongo. Das Gebilde, das Kamerun heißt und das seit über hundert Jahren den staatlichen Rahmen abgibt, in dem Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft organisiert werden, ist also ein koloniales Produkt. Und diese Herkunft hat nicht nur Spuren hinterlassen, sondern prägt das Leben bis heute entscheidend.

Politik und Verwaltung als Herrschaftsinstrumente
Gerade in der Politik und der Verwaltung ist die Auswirkung der kolonialen Zeit am gravierendsten, auch wenn wenig darüber gesprochen wird. Zur Absicherung ihrer Macht hatten die Kolonialherren – ob Deutsche, Engländer oder Franzosen – das Territorium straff organisiert und dabei alle bis dahin funktionierenden Dynamiken, Netzverbindungen und Herrschaftskonstitutionsmodi zerstört. Alle Gewalt, militärische, politische und administrative, wurde in der Hauptstadt konzentriert. Und diese wurde allein nach dem Kriterium der Sicherheit ausgewählt. So wurde Yaoundé die Hauptstadt, weil die Bevölkerung in dieser Region den Deutschen und später den Franzosen wohlgesonnen war und nicht so renitent wie die Douala oder Bakweri. Alle Bevölkerungsgruppen mussten sich auf dieses neue Zentrum einstellen. Die starke Zentralisierung ist bis heute geblieben. Alles geht von Yaoundé aus und nur von dort kann jede Gruppe ihre lokalen Interessen ausdrücken und durchsetzen.
Die verschiedenen kolonialen Machthaber versuchten andererseits, ihre Macht dadurch überall im Lande zu festigen, dass sie existierende politische Systeme – die oft stark von Gruppe zu Gruppe variierten – vereinheitlichten und in ihren Dienst stellten. Bei den Bamileke und den anderen Königreichen der westlichen Grassfield-Region sowie bei den Gruppen im Norden des Landes, die eine komplex strukturierte Administrations- und Herrschaftsstruktur hatten, wurden die Führungsschichten zu Ausführungsgehilfen der neuen Kolonialmacht gemacht. Dabei wurden oft Clanführer administrativ aufgewertet, gefügige Häuptlinge mit größerer Macht ausgestattet und Widerständige durch Usurpatoren ersetzt. Bei den sogenannten azephalen Völkern (Gruppen, die ohne Anführer oder Herrscher auskamen; zeph = Kopf) wie den Betis im Süden, die mehr oder weniger demokratisch organisiert waren, wurde das System der Häuptlinge durchgesetzt.

Korrumpierung der Eliten
Das typische Beispiel dafür ist Karl Atangana. Auf Veranlassung des deutschen Offiziers Hans Dominik wurde er zu den Pallotiner-Missionaren nach Kribi geschickt, wo er ab 1885 erzogen wurde. Ab 1900 arbeitete er für die deutsche Kolonialverwaltung zunächst als Dolmetscher, dann als Gehilfe im Rahmen der Besteuerung der Bevölkerung. Später wurde er zum Leiter des Ewondo-Bane-Obergerichts ernannt und 1913 zum „Oberhäuptling der Jaunde (Ewondo) und Bane“ – eine Stelle, die traditionell nicht existierte. In der französischen Kolonialzeit wurde er zunächst argwöhnisch als Freund der Deutschen behandelt, bis die Franzosen merkten, dass er der Prototyp des kooperationswilligen Mittelsmanns war und ihn wieder als Oberhäuptling einsetzten. Diesen Titel gibt es bis heute und er wird von seinen Nachkömmlingen bekleidet.
Die so neu zusammengesetzte und abhängig gemachte Führungsschicht entwickelte eine sehr perverse und ambivalente Beziehung zur Bevölkerung. Einerseits sind ihre Mitglieder kraft ihres Amtes verantwortlich für das Wohl der ihnen Unterstellten, Bewahrer der Tradition und Garant für die Kontinuität ihrer Gruppe. Andererseits sind sie Befehlsempfänger und Ausführungsgehilfe des Staates. Als solche müssen sie oft die Interessen und Belange ihres Dorfes oder Königreichs preisgeben und geraten dadurch in ein Spannungsverhältnis zu Ihrer Bevölkerung.
Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Auch die neue administrative und politische Elite hat ihren Habitus weitgehend nach diesem Modell entwickelt. Macht, Befugnisse und Pfründe erhält man in Yaoundé – und zwar von der Regierung. Diese Macht inszeniert man vor einer Bevölkerung, von der erwartet wird, dass sie sich fügt und gehorcht.
Dieses Kolonialmuster prägt die ganze politische Kultur im Lande. Abgeordnete und andere Mandatsträger fühlen sich eher der Zentralmacht loyal und verpflichtet als der Bevölkerung, in deren Namen sie angeblich sprechen. Um bei Wahlen einen Listenplatz zu erringen, müssen sie durch die Parteizentrale in Yaoundé kooptiert und durch die Administration zugelassen werden. Und die Ergebnisse der Wahl hängen kaum von der Popularität ab, die man genießt, sondern von den guten Beziehungen, die man in Yaoundé hat; denn Wahlergebnisse werden manipuliert.
Die Regierung erwartet von der Bevölkerung, dass sie sich artig zeigt. Nur so wird sie durch Straßenbau, Schulgründungen und andere Einrichtungen belohnt. Diejenigen, die „falsch“ wählen, den Präsidenten nicht laut genug huldigen und sich kritisch verhalten, werden bestraft. Man lässt bei ihnen alles herunterkommen, bis sie sich gefügig zeigen. Öffentliche Gelder werden verwendet, um den Klientelismus zu pflegen. In diesem Kontext ist eine demokratische Kultur, in der die Legitimität allein vom Volk ausgeht, schwer zu etablieren.

Koloniales Erbe in Wirtschaft und Sprache
Auch die Wirtschaft hat ihre koloniale Außenorientierung nie ganz überwunden. Sie baut weiterhin auf die Exportprodukte wie Kaffee, Kakao, Baumwolle, Holz und Mineralien. Entsprechend sind Transportwege, ob Straßen, Eisenbahn oder Fluglinien, in Richtung der großen Hafenstadt Douala orientiert. Die Verbindungen zwischen den verschiedenen Regionen bleiben unterentwickelt. Die Währung ist weiterhin der durch die Franzosen eingeführte CFA-Franc, der zunächst an den französischen Franc gebunden war und bis heute an den Euro gekoppelt ist. Eine eigene Währungspolitik ist so nicht möglich. Einheimische Firmen werden systematisch zugunsten von ausländischen Firmen benachteiligt, da diese höhere Bestechungsgelder bezahlen können.
Kamerun verfügt über zwei Erziehungssysteme, das französische und das englische, und die entsprechenden Ausbildungssprachen sind Französisch und Englisch. Die Elite wird in mancher Hinsicht geistig nach einem fremden Modell ausgebildet, was zu einer weitgehenden Entkoppelung von Zielen und Prioritäten der Ausbildung von den Problemen des Landes führt. Die Tatsache, dass Französisch und Englisch nicht nur Ausbildungssprachen, sondern auch offizielle Sprachen geblieben sind, rührt auch daher, dass die zusammengeführten Bevölkerungsgruppen unterschiedliche Sprachen sprechen. Und eine Wahl zwischen den über 180 Sprachen, die im Land gesprochen werden, erweist sich als praktisch unmöglich. Neuerdings gibt es Spannungen zwischen den Frankophonen und den Anglophonen, die das Zusammenleben der verschiedenen Gruppen noch schwieriger macht. Das Erbe des Kolonialismus in Kamerun ist hartnäckig und noch lange nicht überwunden.

David Simo ist Professor für Germanistik und leitet das Philologische Institut der Universität von Yaoundé.

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