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Anthropologie und "Rassenkunde"

Dieses Interview wurde am 21.10.2009 online gestellt.

Zum Problem der Schädel von Namibiern in deutschen Archiven
Interview mit dem namibischen Botschafter Neville Gertze

Vor einem Jahr erzeugten Berichte über menschliche Schädel aus Namibia in deutschen Sammlungen zu einem breiten Medienecho in beiden Ländern und lösten bilaterale Konsultationen aus. Aus der ehemaligen deutschen Kolonie befinden sich cirka 47 Schädel im Medizinhistorischen Museum der Charité in Berlin und zwölf bis fünfzehn im Freiburger Universitätsarchiv. Sehr viel mehr lagern wahrscheinlich noch in weiteren anthropologischen Sammlungen. Denn allein aus Kriegsgefangenenlagern wurden während des Herero-Nama-Krieges (1904-08) zahlreiche Schädel unter grausamen Bedingungen nach Deutschland verbracht. Im September 2009 sprach Heiko Wegmann darüber mit dem namibischen Botschafter in Deutschland, Neville Gertze.
H. E. Neville Gertze

HW: Wie waren die Reaktionen in Namibia auf die ersten Meldungen über die Schädel?

Die Reaktionen waren Entsetzen und Unglauben. Natürlich ist dieser Teil unserer gemeinsamen Geschichte, also die Gräueltaten während der deutschen Kolonialzeit und die Überführung von Toten bzw. Teile der Toten in das deutsche Kaiserreich zu angeblich wissenschaftlichen Zwecken, in Namibia bekannt. Die hervorragende Arbeit, die der Redakteur Markus Frenzel vom mdr bei der Suche nach den noch in deutschen Instituten gelagerten Schädeln, u.a. aus Namibia, leistete, hat den Prozess wieder in Gang gebracht.

HW: Im Oktober 2008 wandten sich traditionelle Führer der Herero und Nama an ihre Regierung. Sie sollte von der deutschen Regierung die Rückgabe der Schädel und die Übernahme aller damit verbundenen Kosten verlangen.

Die Namibische Regierung hat daraufhin mit der Deutschen auf bilateraler Ebene hinsichtlich der an der Charité entdeckten Schädel aus Namibia Kontakt aufgenommen. Außerdem wurde erörtert, wie die Suche und Identifizierung nach weiteren, noch in deutschen Institutionen verbliebenen menschlichen Überresten erfolgreich durchgeführt werden kann. Das Auswärtige Amt hat uns dankenswerter Weise dabei unterstützt, mit den richtigen Ansprechpartnern zusammen zu treffen. In Namibia wurde ungefähr zur gleichen Zeit ein federführender Ausschuss im Ministerium für Kultur gegründet. Außerdem wurde ein Konsulationsprozess mit den betroffenen Gemeinschaften, vertreten durch ihre jeweiligen traditionellen Repräsentanten, in die Wege geleitet, um die weiteren Schritte zu besprechen und zu koordinieren.

HW: Wie waren die Reaktionen der Charité und des Freiburger Uniarchivs? Wurden von deren Seite Kooperationen in die Wege geleitet?

Nachdem der Beitrag auf ARD gesendet worden ist, versicherte uns der Vorstand der Charité, eine eigene Recherche eingeleitet zu haben, um die Herkunft der in ihrer Sammlung befindlichen Schädel zu bestimmen. Außerdem wurde der dringende Wunsch geäußert, die menschlichen Überreste für eine ehrenvolle Bestattung nach Namibia zurückzuführen. Wir sind übereingekommen, während des in Namibia stattfindenden Konsultationsprozesses weiterhin Kontakt zu halten. Weder die Universität Freiburg noch andere Institutionen haben mit uns Kontakt aufgenommen.

HW: Es gibt mit Sicherheit noch weitere Sammlungen in Deutschland mit namibischen Schädeln. Sind Ihnen Initiativen bekannt, dies systematisch zu untersuchen?

Ja, da haben Sie natürlich Recht. Es gibt in Deutschland weitere sogenannte Sammlungen. Allerdings ist das Verfahren zur Feststellung der Herkunft dieser menschlichen Überreste nicht einfach, aber die deutsche Regierung hat uns auch hierbei ihr Untersützung angeboten. Nach dem Bericht in „fakt“ haben uns Solidaritätsbekundungen von Zuschauern und auch von einigen deutschen Nicht-Regierungsorganisationen erreicht. Darin wurde die
Empörung besonders über die Verschleppung dieser für einige Menschen in Deutschland durchaus bekannten Angelegenheit zum Ausdruck gebracht. Wie der Prozess, die hier verbliebenen menschlichen Überreste in den Archiven landesweit ausfindig zu machen, weitergehen wird, hängt natürlich sehr entscheidend auch von der Bereitwilligkeit der anderen deutschen Institutionen zur Kooperation ab.

HW: Die namibische Regierung hatte zunächst verkündet, die Schädel auf dem “Heroes Acre“ bei Windhoek bestatten zu wollen. Wie reagierten die traditionellen Gemeinschaften darauf?

Die ehrenvolle Bestattung der Schädel am Heroes Acre ist nur eine von mehreren Möglichkeiten. Noch beraten sich die traditionellen Vertreter und die Entscheidung, zu der die betroffenen Gemeinschaften am Ende ihres Konsultationsprozesses gelangen, wird das weitere Vorgehen der Regierung bestimmen.

HW: Schweden, Groß Britannien und andere Länder haben in den letzten Jahren Schädel an Australien zurück gegeben und Australien fordert dies auch von Deutschland. Gibt es eine Kooperation zwischen der Rückgabe fordernden Ländern?

Nein, noch gibt es diesbezüglich keine Zusammenarbeit. Die deutsche Regierung hat ihre Zusage gegeben, uns bei der Identifizierung und Rückführung namibischer Schädel, die heute, mehr als 100 Jahre später immer noch hier in den verschiedenen Institutionen lagern, zu unterstützen. Auf diesem eingeschlagenen Weg wollen wir gemeinsam weitergehen.


Siehe zur weiteren Entwicklung nach dem Interview auch folgende Presseartikel:

Siehe zum Thema anthropologische Schädelsammlungen auf freiburg-postkolonial.de:

  • 17.12.2009 - Interview von Heiko Wegmann mit dem Leiter des Universitätsarchivs Freiburg, Dieter Speck, über die Freiburger Schädelsammlung und namibische Rückgabeforderungen Mehr
  • Ethnographische und Schädelsammlung von Friedrich Rosset aus dem Sudan in Freiburg eingetroffen, Freiburger Zeitung, 05.06.1879, Artikel
  • Bitte von Anatomie-Direktor Eugen Fischer an deutsch-koloniale LeserInnen um menschliche und tierische Schädel aus den ehemaligen Kolonien, Deutsche Kolonialzeitung, Heft 1 / 1921, Artikel
  • Martin Baer und Olaf Schröter: Eine Kopfjagd. Deutsche in Ostafrika (2001) Zur Rezension
  • Anja Bochtler: Relikte aus der Kolonialgeschichte - Schädel im Uniarchiv, Dokumente im Adelhausermuseum — wird, was in Freiburg lagert, irgendwann an Namibia zurückgegeben?, Badische Zeitung vom 15.08.08, S. 19, Mehr (pdf)
  • iz3w: Geteilte Geschichte, geraubte Erinnerung - Über die Freiburger Schädelsammlung und die Rückgabe von Kulturgütern, Editorial der Zeitschrift iz3w Nr. 307 (2008) Mehr
  • Britta Lange: Der Rassenkundler Egon von Eickstedt und sein Gastspiel in Freiburg (1921- 1923), November 2008 Mehr

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