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Postkoloniale Debatte auf freiburg-postkolonial.de

Dieser Text ist mit anderer Bebilderung zuerst erschienen in:

analyse & kritik – Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 520, September 2007, S. 9

Die weiße Darstellung ‘Afrikas’ in der deutschen Öffentlichkeit.

Wie ein Kontinent genormt, verformt und verdunkelt wird

Von Adibeli Nduka-Agwu und Daniel Bendix

Zum internationalen PEN-Kongress 2006 in Berlin kamen so renommierte AutorInnen wie Véronique Tadjo, Meja Mwangi, Nadine Gordimer und Lesego Rampolokeng zusammen. Im Fokus der Veranstaltung sollte das literarische Schaffen "Afrikas" stehen. Neben der typisch westlichen Fantasie, sich ohne großen Aufwand einen umfassenden Einblick in die "Fremde" verschaffen zu wollen, fiel den OrganisatorInnen kein besserer Titel ein als "Afrika der schwelenden Konflikte. Literatur eines geschundenen Kontinents". Man war offensichtlich der Ansicht, das Interesse für "Afrika" nur wecken zu können, wenn die üblichen Stereotypen aufgerufen werden.

Ausschnitt aus einer ganzseitigen Anzeige von Fox-Tours Reisen / TUI aus der Zeitschrift Chrismon. Das evangelische Magazin, 06.2007, S. 41

Denn die drei Ks: Kriege, Krankheiten, Katastrophen sind nie weit, wenn "Afrika" in der deutschen Öffentlichkeit auftaucht. Der Spiegel vom 16. April 2007 hat dies noch einmal drastisch vorgeführt. Bereits im Titel "Afrika. Der Fluch des Paradieses" taucht auch die andere Seite der Medaille auf: die Romantisierung und Exotisierung "Afrikas". Wie im Stern vom Dezember letzten Jahres ("Afrika aus der Luft: Bilder einer spektakulären Reise"), in dem nur Tier-, Natur- und Dorffotos zu sehen sind, wird "Afrika" mit Natürlichkeit, Wildheit und Ländlichkeit verbunden. Ausgeprägte Körper- und Sinnlichkeit dürfen in diesem Zusammenhang auch nicht fehlen, wie z.B. in der Anpreisung der Zirkusshow "Afrika! Afrika!" deutlich wird: "André Hellers sinnliche Entdeckung Afrikas fasziniert das Publikum mit Tempo, Energie und dem Ausdruck überschäumender Lebensfreude." "Afrika" wird durch solche Darstellung und Berichterstattung "fremd" und "andersartig".

Circus Foto: H. Wegmann (2007)

‘Afrika’ – Homogenisierung eines Kontinents

Trotz einiger sehr kritischer Analysen zur deutschen Afrikadarstellung leben im deutschen Afrikaporträt des Jahres 2007 viele kolonialzeitliche Annahmen über den Kontinent und seine BewohnerInnen fort. Warum "Stamm" oder "Schwarzafrika" problematische Ausdrücke sind, ist kaum einem/r weißen1 Deutschen bewusst und die spärlichen Veränderungen des öffentlichen Afrikabildes belaufen sich meist auf leere political correctness. Eindeutig kolonialistisch geprägte Begriffe wie "Rasse" oder "Stamm" werden teils durch vorgeblich weniger vorbelastete Ausdrücke wie "Ethnie" ersetzt. "Afrika" wird vom Großteil der weißen deutschen Gesellschaft weiterhin als homogener, gleich bleibend trister Raum konstruiert, der sich aus den 48 Ländern "südlich der Sahara" zusammensetzt. Durch die konstante Wiederholung der alten Stereotype wird der Kontinent zu einem begreifbaren und gleichzeitig dominierbaren Ort zusammengeschrumpft. Das beharrliche Echo der kolonialzeitlichen (Über-) Betonung des "Schwarzseins", das mit dem Kontinent untrennbar in Verbindung steht, verewigt das alte Bild von "Afrika" als Innbegriff der "Dunkelheit".

In Deutschland scheint "Afrika" nicht einen geographischen Raum zu bezeichnen, sondern dient als Synonym für alles, was sich "südlich der Sahara" befindet bzw. was als dort befindlich imaginiert wird. Der Begriff macht spezifische Ländernennungen oder eine Unterscheidung zwischen Regionen obsolet. Nur so lässt sich erklären, warum die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen Reporter aus "Afrika" (ohne Stadt, Land oder auch nur Region zu nennen) berichten lässt oder warum "Afrika" im selben Atemzug mit einzelnen Ländern aufgelistet wird. Warum selbst renommierte deutsche öffentliche Stimmen bei solchen Ausdrucksweisen keinen Schwall der Entrüstung wegen nachlässigem Journalismus oder Pauschalität fürchten müssen, wird durch einen Blick auf die thematische Darstellung "Afrikas" deutlich. Diese ist seit Jahrzehnten dieselbe. Selbst wenn der Fokus zwischen HIV/Aids, Korruption, Hungersnöten und Konflikten variiert, sind doch alle Themen stets Teil der Klischees der drei Ks. Je nach Studie sind in Deutschland bis zu 85 Prozent der Afrika-Berichterstattung negativ. Es entsteht der Eindruck, dass es in der Tat egal ist, aus welchem afrikanischen Land berichtet wird, da dort die gleichen (negativen) Phänomene zu beobachten seien. Diese Verallgemeinerungen beruhen vornehmlich darauf, dass medientaugliche Einzelfälle fortwährend als Bestätigung und Erweiterung der bekannten, erwarteten und begreifbaren Klischees inszeniert werden.

Werbung Foto: J. Zeller 2006

So schrieb der Spiegel zur Festnahme des liberianischen Ex-Präsidenten Charles Taylors einen Artikel zu "afrikanische[n] Diktatoren" als einem "Club der Schlächter" und die Frankfurter Allgemeine Zeitung folgerte aus einer Momentaufnahme bei Melilla, dass "die afrikanische Nacht nach verdorbenen Lebensmitteln, Fäkalien und Angstschweiß" riecht. Sicher sind Diktatoren wie Taylor oder Mengistu Haile Mariam aus Äthiopien für abscheulichste Gräueltaten verantwortlich oder können Melillas Ausdünstungen schwer erträglich sein. Das Problem ist jedoch, dass bei afrikanischen Themen ein Bemühen um Differenzierung fehlt. Länder so unterschiedlich wie Somalia und Südafrika oder Ghana und Äquatorialguinea werden alle zum gleichen Konstrukt "Afrika" homogenisiert. Das zeichnet sich vor allem durch die Herausstellung von Defiziten aus. Positive Nachrichten sind, wenn überhaupt, nur Randnotizen wert. Es bleibt das alte Bild: Afrika hat wenig oder nichts. Dabei ist der Schluss, dass dieses Nichtshaben auf ein Nichtskönnen zurückzuführen ist, niemals weit. Wie sonst erklärt sich eine LeserIn, dass Afrika nur durch Fälle von exorbitanter Korruption, Staatszerfall, Hunger oder Konflikte in die Schlagzeilen gerät? Im besten Fall kann "den" AfrikanerInnen dann Mitleid entgegengebracht werden. Respekt oder ein Gefühl der Gleichwertigkeit sind im Licht dieser Repräsentation ausgeschlossen. Reduziert auf Krisen und subtil unterstellte Unfähigkeit (und in der letzten Spiegel-Titelgeschichte auch weniger subtil: "In den meisten Ländern südlich der Sahara waren die wirtschaftlichen Perspektiven (bei der Unabhängigkeit, die AutorInnen) besser als in Asien. Aber die Afrikaner haben aus dem Startvorteil wenig gemacht."), müssen die Hintergründe etwaiger Missstände, und eine eigene, europäische, deutsche oder weiße Implikation, nicht hinterfragt werden.

In Deutschland gibt es Initiativen, die sich für eine möglichst umfassende, realistische und weniger pauschale Darstellung von Themen mit Afrikabezug einsetzen. Dabei stach in letzter Zeit besonders die groß angelegte Veranstaltungsreihe "Fokus Afrika. Africome 2004-2006" der Bundeszentrale für politische Bildung hervor. Die Motivation für diesen thematischen Präzedenzfall war laut Bundeszentrale die Tatsache, dass "Afrika" in der deutschen Öffentlichkeit nur als "verlorener Kontinent" auftaucht. Offensichtlich wurde in dem Veranstaltungsprogramm jedoch vor allem, dass die jahrzehntelange Expertise von Schwarzen Organisationen wie der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland oder ADEFRA in der Konzeption ignoriert wurde. Selbst solche weißen Projekte, die sich explizit zum Ziel machen, ein differenziertes Afrikabild zu fördern, greifen im gleichen Atemzug auf die im Zusammenhang mit Afrika notorische Farbmetaphorik zurück: "Der dreijährige Afrikaschwerpunkt (...) will die Vielfalt und Vielschichtigkeit des schwarzen Kontinents mehr ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit rücken. (...) Die Auftaktveranstaltung (...) sollte Anstöße für eine ganzheitliche Information über den ,Schwarzen Kontinent' und seine aktuellen Entwicklungen geben."

Ähnlich verhält es sich mit an sich reflektierten Zeitungsartikeln zur Welle deutscher Afrikakitschfilme mit Titeln wie "Afrika, mon amour": Auch das ZDF-Melodram malt den schwarzen Kontinent weiß an. Warum muss Afrika in Deutschland von "Weißen" nun mit "schwarz" und "Finsternis" in Verbindung gebracht werden? Zum einen wird der Terminus "Schwarzafrika" verwandt, um den Teil des afrikanischen Kontinents zu kennzeichnen, der von "Schwarzen" bewohnt sei. Dies setzt voraus, dass die BewohnerInnen dieser geographischen Region schon als "schwarz" konstruiert wurden.

Berben Afrika mon amour Foto: H. Wegmann (2007)

Afrikaberichterstattung größtenteils negativ

In Europa wurden die Farben Schwarz und Weiß seit der Antike und besonders im Zuge der "Rassen"theorien zu einer anthropologischen Kategorie aufgeladen, d.h. Menschen mit bestimmten Körpermerkmalen wurden zusammengefasst und ihnen wurden bestimmte hierarchisierende Eigenschaften zugeschrieben. Von einem "Schwarzafrika" zu sprechen, verleugnet sowohl die Geschichte der Kolonisierung, zu deren Aspekten die gewalttätige Errichtung und Verteidigung von "Siedlungskolonien" wie Namibia und Südafrika gehörte, als auch beispielsweise die Migration von Menschen aus dem arabischen Raum an die Ostküste Afrikas. Schon Frantz Fanon wies darauf hin, dass die Funktion dieser Beschreibung Afrikas die Herstellung eines hierarchisierenden Dualismus ist: "Man teilt Afrika in einen weißen und einen schwarzen Teil. (...) Auf der einen Seite versichert man, dass es an der abendländischen Kultur teilhabe. Das Schwarze Afrika bezeichnet man als eine träge, brutale, unzivilisierte - eine wilde Gegend." 2. Als Gegenstücke fungieren somit einerseits ein "weißes" Afrika, andererseits verweist die Bezeichnung "Schwarzer Kontinent" auf ein "weißes" Europa und schreibt somit den Mythos eines "Europas" fort, das erst in jüngster Zeit durch Migration seine angeblich jahrhundertealte Homogenität einbüße.

Nicht zuletzt hat der Gebrauch der Charakterisierung "schwarz" im Zusammenhang mit "Afrika" immer eine symbolisch-wertende Dimension. Die Assoziation von "schwarz" mit dem Bösen und Irrationalen und "weiß" mit dem Guten und Vernünftigen reicht bis in die Antike und die Anfänge des Christentums zurück. Erst vor dem Hintergrund einer hierarchisierenden Farbsymbolik und deren Verwissenschaftlichung im Zuge der europäischen Säkularisierung wurden AfrikanerInnen "schwarz" und EuropäerInnen "weiß"; nun in einer Vermischung aus anthropologisch-rassistischen Kategorien und symbolischer Aufladung.3 Die Kategorien "Schwarz" und "weiß" wurden Teil eines Systems, in dem sich Kolonisierende und Kolonisierte gegenüberstanden und legitimierten diese Herrschaftskonstellation.

Afrikaweg Foto: H. Wegmann (2006)

Deutsches Afrikabild von kolonialen Fesseln lösen

Für das weiße Deutschland und Europa ist es wichtig, dass Afrika "schwarz", arm, exotisch und chaotisch bleibt. Nur wenn "Afrika" in essentialistischen Bildern festgehalten wird "so wie man ein Präparat mit Farbstoff fixiert"4 - können sich "Weiße" als rational und nicht-stereotypisiert herstellen und kann der status quo in den Beziehungen zwischen "Süden" und "Norden" erhalten bleiben. "Afrika" als vereinheitlichter Raum der "Finsternis" erscheint wie eine Aufforderung zum Lichtanschalten. Von "Afrika" als undemokratisch und abgründig zu berichten, ermöglicht Kräften den Auftrieb, die im Sinne der ewigen "Bürde des weißen Mannes" für eine Form von Rekolonisierung Afrikas plädieren. Um das deutsche Afrikabild endlich von seinen kolonialen Fesseln zu lösen und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Politik, Gesellschaft und Kultur der 53 afrikanischen Länder zu ermöglichen, ist es unabdingbar, sich vom rassistischen und kolonialen Afrikavokabular zu trennen aber nicht, ohne sich mit dessen Geschichte und Funktion auseinander zu setzen. Nur das Bemühen, die vielgestaltigen Länder des afrikanischen Kontinents realistisch und differenziert darzustellen, kann neo-kolonialistische Bilder, die das weiße Selbstverständnis rechtfertigen, aus der deutschen Öffentlichkeit verbannen. Dazu sind Beiträge Schwarzer (deutscher) AutorInnen sowie eine (selbst-) kritische Auseinandersetzung mit Rassismus und Neokolonialismus aus weißen Perspektiven unentbehrlich.

Adibeli Nduka-Agwu, Politikwissenschaftlerin

Daniel Bendix, AfricAvenir International

  • 1 Zur Schreibweise von weiß und Schwarz und deren Verwendung als Analysekategorie siehe den von Maureen Maisha Eggers, Grada Kilomba, Peggy Piesche und Susan Arndt herausgegebenen Sammelband „Mythen Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland“ (2005). [siehe Rezension]
  • 2 Fanon, Frantz, 1981 (Orig. 1961), Die Verdammten dieser Erde, Frankfurt a. M., 138.
  • 3 Husmann-Kastein, Jana, 2006, Schwarz-Weiß. Farb- und Geschlechtssymbolik in den Anfängen der Rassenkonstruktionen. In: Tißberger, Martina et al. (Hg.), Weiß – Weißsein – Whiteness. Kritische Studien zu Gender und Rassismus, Frankfurt a. M., 45-60.
  • 4 Fanon, Frantz, 1980 (Orig. 1952), Schwarze Haut, weiße Masken, Frankfurt a. M., 71.

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siehe auch auf freiburg-postkolonial:

  • Bräunlein, Peter: Ein weißer Mann in Afrika - Rassismus und Geschlechterverhältnisse in Tarzanfilmen (2004) Mehr
  • Grimm, Sabine: Kulturkritische Ansätze der postcolonial studies (1997) Zum Text (pdf)
  • Honold, Alexander: Afrika in Berlin - Ein Stadtviertel als postkolonialer Gedächtnisraum (2004). Zum Text
  • Zickgraf, Peer: Tödliche Verwandlungen - Koloniale Menschenzoos und die Schaffung von "Untermenschen" (2002). Zum Text